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Kahl Engisch:
scheinen als an Hand der Erfahrung zu beantwortende Tatfragen
zunächst abgetrennt werden zu können von der teils außerrecht-
lichen, teils dank Bezugnahme rechtlichen Wertungsfrage, wieweit
es sich hier um gute Sitte, löbliches Herkommen, gesundes
Volksempfinden usw. handelt. Aber in praxi wird man oft die Er-
fahrung machen, daß sich tatsächliche Übung, moralisches Attribut
und auch rechtliche Anerkennung nicht so scharf voneinander son-
dern lassen1. Als Sitte, Brauch und Volksempfinden sieht man von
vornherein nur das an, was im Kreise „anständiger“ Menschen ge-
übt und gedacht wird, und so bestimmt man schon den Erfahrungs-
satz auf der Grundlage einer durch Wertungen verengten Induk-
tionsbasis. Häufig verallgemeinert der Urteiler seine eigene Hand-
lungsweise und sein eigenes Empfinden zur Sitte und zum Volks-
empfinden und projiziert damit eine persönliche Wertung in die
Wirklichkeit. Vielfach hält er sich aber auch — auf diese Weise
wieder Tatsachenfeststellung und Subsumtion verbindend — an
die bisherige Rechtsprechung, an Hand deren er vergleichend fest-
stellt, daß auch hier und jetzt Sitte und Volksempfinden dieses und
jenes fordern. Zum mindesten kann man sagen: Neben solchen
Fällen, wo die Feststellung der Sittengemäßheit rein tatsächlichen
Charakter hat (Beispiel: Tätowierungen sind in den und den Krei-
sen üblich; vgl. § 226a StGB.)2, gibt es auch Fälle, wo die Prüfung
des Einzelfalles auf sein Verhältnis zur Sitte und zum Durchschnitts-
empfinden sich mit Wertungen und Subsumtionen unauflöslich ver-
bindet (z. B. dort, wo sich ein Brauch nicht sicher feststellen läßt
oder erst anbahnt, und man nun kraft Wertung und vergleichender
Subsumtion von vornherein ab weisen möchte, daß ein Verhalten
wie das konkrete als Sitte oder Brauch bestätigt wird, oder um-
gekehrt dort, wo eine Tendenz moralisch derart stark ist, daß man
ihr auch nur vereinzeltes Durchbrechen zur Tat schon als Brauch
anzuerkennen sich genötigt sieht).
Ähnliches ließe sich noch für weitere Beispiele darlegen. Doch
kommt es uns auf weitere Einzelheiten nicht an. Kehren wir wie-
der auf den Hauptweg unserer Untersuchung zurück, so können
wir für die Frage des Verhältnisses von Tatsachenfeststellung und
1 S. hierzu namentlich Wehli a. a. O. S. 410ff.
2 Hierher dürfte auch der öfters besprochene Fall Entsch. RGZiv. 99,
S. 71 ff. gehören: Ist der Nachtpförtner eines Hotels nach allgemeiner Ver-
kehrsauffassung bestellt, Wertsachen und Kostbarkeiten der Hotelgäste ent-
gegenzunehmen ? Hier dürfte es sich logisch um eine Tatfrage handeln.
Kahl Engisch:
scheinen als an Hand der Erfahrung zu beantwortende Tatfragen
zunächst abgetrennt werden zu können von der teils außerrecht-
lichen, teils dank Bezugnahme rechtlichen Wertungsfrage, wieweit
es sich hier um gute Sitte, löbliches Herkommen, gesundes
Volksempfinden usw. handelt. Aber in praxi wird man oft die Er-
fahrung machen, daß sich tatsächliche Übung, moralisches Attribut
und auch rechtliche Anerkennung nicht so scharf voneinander son-
dern lassen1. Als Sitte, Brauch und Volksempfinden sieht man von
vornherein nur das an, was im Kreise „anständiger“ Menschen ge-
übt und gedacht wird, und so bestimmt man schon den Erfahrungs-
satz auf der Grundlage einer durch Wertungen verengten Induk-
tionsbasis. Häufig verallgemeinert der Urteiler seine eigene Hand-
lungsweise und sein eigenes Empfinden zur Sitte und zum Volks-
empfinden und projiziert damit eine persönliche Wertung in die
Wirklichkeit. Vielfach hält er sich aber auch — auf diese Weise
wieder Tatsachenfeststellung und Subsumtion verbindend — an
die bisherige Rechtsprechung, an Hand deren er vergleichend fest-
stellt, daß auch hier und jetzt Sitte und Volksempfinden dieses und
jenes fordern. Zum mindesten kann man sagen: Neben solchen
Fällen, wo die Feststellung der Sittengemäßheit rein tatsächlichen
Charakter hat (Beispiel: Tätowierungen sind in den und den Krei-
sen üblich; vgl. § 226a StGB.)2, gibt es auch Fälle, wo die Prüfung
des Einzelfalles auf sein Verhältnis zur Sitte und zum Durchschnitts-
empfinden sich mit Wertungen und Subsumtionen unauflöslich ver-
bindet (z. B. dort, wo sich ein Brauch nicht sicher feststellen läßt
oder erst anbahnt, und man nun kraft Wertung und vergleichender
Subsumtion von vornherein ab weisen möchte, daß ein Verhalten
wie das konkrete als Sitte oder Brauch bestätigt wird, oder um-
gekehrt dort, wo eine Tendenz moralisch derart stark ist, daß man
ihr auch nur vereinzeltes Durchbrechen zur Tat schon als Brauch
anzuerkennen sich genötigt sieht).
Ähnliches ließe sich noch für weitere Beispiele darlegen. Doch
kommt es uns auf weitere Einzelheiten nicht an. Kehren wir wie-
der auf den Hauptweg unserer Untersuchung zurück, so können
wir für die Frage des Verhältnisses von Tatsachenfeststellung und
1 S. hierzu namentlich Wehli a. a. O. S. 410ff.
2 Hierher dürfte auch der öfters besprochene Fall Entsch. RGZiv. 99,
S. 71 ff. gehören: Ist der Nachtpförtner eines Hotels nach allgemeiner Ver-
kehrsauffassung bestellt, Wertsachen und Kostbarkeiten der Hotelgäste ent-
gegenzunehmen ? Hier dürfte es sich logisch um eine Tatfrage handeln.