Die große Maecenasode des Horaz
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Diese „andern Dinge“ werden unter dem großartigen Bild des Flusses32“
gesehen, der den unberechenbaren Wechsel symbolisiert, der die schicksal-
haften Entwicklungen bestimmt, die außerhalb unserer Macht liegen. Die-
ser Wechsel bildet den schroffen Gegensatz zu dem Sinn des Weisen, der
immer gleich (aequos) bleibt. Zugleich ist der Fluß auch Sinnbild der gna-
denlos dahinfließenden Zeit, des Vergänglichen und Vergehenden, Gegen-
satz zu dem Ergreifen des Gegenwärtigen und Festhalten des Vergange-
nen, das dem Weisen gelingt.
Zwei Möglichkeiten werden parallel entfaltet: das friedliche Dahin-
strömen und die entfesselte Gewalt des reißenden Flusses: nunc . . . dela-
bentis . . . nunc . . . volventis una. Die Verse, die den träg dahinfließenden
Fluß schildern, sind schleppend
nunc medio alveo
cum pace delabentis Etruscum
in mare,
wobei das Schleppende durch die Svnaloephe medio alveo mit der auf-
fallenden Vokalhäufung und die Synaphie Etruscum/in mare unterstri-
chen wird. Auch daß der einzige vollständige Vers des Bildes gerade der
schwere Neunsilbler der alkäischen Strophe mit den drei aufeinander fol-
genden Längen ist (delabentis), verstärkt den schleppenden Eindruck.
Im Gegensatz hierzu besteht das zweite Bild aus einer einzigen atem-
losen Aufzählung, die das unaufhaltsame, alles mit sich reißende und zer-
störende Daherstürmen der Fluten in einem mächtigen Crescendo zum
Ausdruck bringt. Das wütende Element versetzt Berge und Wälder in
Aufruhr, wobei das dumpfe Dröhnen der Berge non sine monti«m clömore
mit dem hellen Heulen, Pfeifen und Ächzen des Waldes vzcmaeque silvae
kontrastiert. Die Wahl des inhaltlich nicht viel beitragenden Wortes vi-
cinae an der Dreilängenstelle des Neunsilblers ist von seinem Lautwert
her zu erklären. Das Element schwillt zur wilden, zerstörenden Wasserflut
(fera diluvies) an, die auch „ruhige Flüsse gewaltig erregt“. Erst in der
nächsten Strophe kommt die Bewegung, die die Strophengrenzen über-
ευφραινε σαυτόν, πίνε, τον καθ’ήμέραν
βίον λογίζου σόν, τά δ’ άλλα τής τύχης.
Auch die Gefahr, über der Verfolgung zukünftiger Ziele das Gegenwärtige zu
versäumen, hat Euripides erwähnt (Bakch. 397): βραχύς αιών · έπι τούτφ δέ
τις αν μεγάλα διώκων τά παρόντ’ ούχ'ι φέροι. Hierzu Horaz c. 1, 4, 15: vitae
summa brevis spem nos vetat incohare longam.
32a Cetera fluminis ritu feruntur erinnert an die Formulierung der Lehre Heraklits
bei Diog. Laert. 9, 1, 8: ρεϊν τά δλα ποταμού δίκην. Möglicherweise hat Horaz
auch an die berühmte Stelle gedacht (Archilochos fr. 67a D.): γίγνωσκε δ’οιος
ρυσμός ανθρώπους εχει. Nur soll bei Archilochos das Auf und Ab des Lebens
den Menschen davor warnen, dem Augenblick zuviel Bedeutung beizumessen,
während Horaz genau die umgekehrte Folgerung daraus zieht.
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Diese „andern Dinge“ werden unter dem großartigen Bild des Flusses32“
gesehen, der den unberechenbaren Wechsel symbolisiert, der die schicksal-
haften Entwicklungen bestimmt, die außerhalb unserer Macht liegen. Die-
ser Wechsel bildet den schroffen Gegensatz zu dem Sinn des Weisen, der
immer gleich (aequos) bleibt. Zugleich ist der Fluß auch Sinnbild der gna-
denlos dahinfließenden Zeit, des Vergänglichen und Vergehenden, Gegen-
satz zu dem Ergreifen des Gegenwärtigen und Festhalten des Vergange-
nen, das dem Weisen gelingt.
Zwei Möglichkeiten werden parallel entfaltet: das friedliche Dahin-
strömen und die entfesselte Gewalt des reißenden Flusses: nunc . . . dela-
bentis . . . nunc . . . volventis una. Die Verse, die den träg dahinfließenden
Fluß schildern, sind schleppend
nunc medio alveo
cum pace delabentis Etruscum
in mare,
wobei das Schleppende durch die Svnaloephe medio alveo mit der auf-
fallenden Vokalhäufung und die Synaphie Etruscum/in mare unterstri-
chen wird. Auch daß der einzige vollständige Vers des Bildes gerade der
schwere Neunsilbler der alkäischen Strophe mit den drei aufeinander fol-
genden Längen ist (delabentis), verstärkt den schleppenden Eindruck.
Im Gegensatz hierzu besteht das zweite Bild aus einer einzigen atem-
losen Aufzählung, die das unaufhaltsame, alles mit sich reißende und zer-
störende Daherstürmen der Fluten in einem mächtigen Crescendo zum
Ausdruck bringt. Das wütende Element versetzt Berge und Wälder in
Aufruhr, wobei das dumpfe Dröhnen der Berge non sine monti«m clömore
mit dem hellen Heulen, Pfeifen und Ächzen des Waldes vzcmaeque silvae
kontrastiert. Die Wahl des inhaltlich nicht viel beitragenden Wortes vi-
cinae an der Dreilängenstelle des Neunsilblers ist von seinem Lautwert
her zu erklären. Das Element schwillt zur wilden, zerstörenden Wasserflut
(fera diluvies) an, die auch „ruhige Flüsse gewaltig erregt“. Erst in der
nächsten Strophe kommt die Bewegung, die die Strophengrenzen über-
ευφραινε σαυτόν, πίνε, τον καθ’ήμέραν
βίον λογίζου σόν, τά δ’ άλλα τής τύχης.
Auch die Gefahr, über der Verfolgung zukünftiger Ziele das Gegenwärtige zu
versäumen, hat Euripides erwähnt (Bakch. 397): βραχύς αιών · έπι τούτφ δέ
τις αν μεγάλα διώκων τά παρόντ’ ούχ'ι φέροι. Hierzu Horaz c. 1, 4, 15: vitae
summa brevis spem nos vetat incohare longam.
32a Cetera fluminis ritu feruntur erinnert an die Formulierung der Lehre Heraklits
bei Diog. Laert. 9, 1, 8: ρεϊν τά δλα ποταμού δίκην. Möglicherweise hat Horaz
auch an die berühmte Stelle gedacht (Archilochos fr. 67a D.): γίγνωσκε δ’οιος
ρυσμός ανθρώπους εχει. Nur soll bei Archilochos das Auf und Ab des Lebens
den Menschen davor warnen, dem Augenblick zuviel Bedeutung beizumessen,
während Horaz genau die umgekehrte Folgerung daraus zieht.