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Bornkamm, Günther; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1961, 2. Abhandlung): Die Vorgeschichte des sogenannten Zweiten Korintherbriefes — Heidelberg, 1961

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https://doi.org/10.11588/diglit.44191#0017
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Die Vorgeschichte des sogenannten Zweiten Korintherbriefes 15
ganz andere Antwort gab W. Lütgert59, der sie als libertinistische Pneu-
matiker und Gnostiker charakterisierte, ähnlich R. Reitzenstein, R. Bult-
mann und dessen Schüler W. Schmithals60. Doch hat E. Käsemann61 mit
Recht gegen diese Auffassung geltend gemacht, daß fast alle Züge dieses
Bildes dem I. Korintherbrief entnommen sind und die Gnostikerthese der
neuen Situation, die der II. Korintherbrief voraussetzt, nicht gerecht wird.
Sein eigener, scharfsinniger Lösungsversuch will freilich auch nicht über-
zeugen. Seiner Meinung nach sind die Gegner Delegierte der Jerusalemer
Urgemeinde, die die Autorität der Jerusalemer Urapostel gegen Paulus
durchsetzen und die Gemeinde zur Unterwerfung unter die allein legitime
Leitung der Gesamtkirche nötigen wollen. Die Haltung des Paulus sei
ihnen gegenüber darum eigenartig gebrochen, da auch er das Ansehen der
Jerusalemer Urapostel nicht einfach bestreiten könne und wolle, aber
gleichwohl das von den Gegnern vertretene Traditionsprinzip und also ihr
Verständnis von Apostelamt und Geist leidenschaftlich bekämpfen müsse.
Doch ist diese Hypothese schwerlich zu halten. Nichts deutet auf eine solche
Rivalität der Jerusalemer Apostel und ihrer kirchenleitenden Autorität
einerseits und des paulinischen Apostelamtes andererseits. Die Anhalts-
punkte, die Käsemann dafür ins Feld führen wollte, hat R. Bultmann zu-
recht als irrig erwiesen62, wenn auch seine eigene Auffassung, die die Geg-
ner des II. Korintherbriefs ohne weiteres mit den Gnostikern des I. Korin-
therbriefs gleichsetzt, aus den besagten Gründen damit nicht gerechtfertigt
ist. Die Lage im II. Korintherbrief ist eben nicht einfach dadurch entstan-
den, daß die gnostische Strömung, die der I. Korintherbrief voraussetzt,
inzwischen bedenkliche Fortschritte gemacht hat und die von ihr bewegte
Gemeinde von einst gleichsam dem Apostel pneumatisch über den Kopf
gewachsen ist. Die einleuchtendste Erklärung der Frage scheint mir in D.
Georgis Untersuchung gegeben zu sein63. Hier wird mit der neuen Inva-
sion von paulinischen Gegnern in Korinth ernst gemacht und ihr Bild unter
Anm. 28: „Denn abgesehen davon, daß dann doch hinzugefügt werden müßte
τής έκ νόμου oder dgl., steht im Zusammenhang das διακ. τής δικ. dem
άγγελος φωτός parallel, muß also gerade nicht das Wesen, sondern die Maske
bezeichnen, die die Pseudo-Apostel als echte Christus-Apostel erscheinen läßt.
Das Apostelamt ist ja nach 3, 9 die διακονία τής δικαιοσύνης.“
59 W. Lütgert, Freiheitspredigt und Schwarmgeister in Korinth (BFchrTh XII/3,
1908).
80 R. Reitzenstein, Die hellenistischen Mysterienreligionen 3. Aufl., 1927, S.
361ff.; R. Bultmann, a. a. 0.; W. Schmithals, Die Gnosis in Korinth. Eine
Untersuchung zu den Korintherbriefen, 1956, S. 45ff.
61 E. Käsemann, a. a. 0., S. 34ff. bzw. S. 8ff.
62 R. Bultmann, a. a. 0., S. 20ff. - Unhaltbar ist vor allem die von Käsemann,
a. a. 0., S. 41 ff. bzw. 20ff. vertretene Deutung der ύπερλίαν απόστολοι auf
die Jerusalemer Urapostel. Zur Frage jetzt auch G. Klein, a. a. 0., S. 58 Anm.
248.
83 D. Georgi, a. a. 0., S. 20ff. (s. o. Anm. 21).
 
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