Die Vorgeschichte des sogenannten Zweiten Korintherbriefes
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Unsere Frage nach der Vorgeschichte des II. Korintherbriefes bekommt
damit noch einmal einen neuen Sinn und gilt jetzt nicht mehr nur den Er-
eignissen, die den Hintergrund des „Briefes“ im ganzen bilden, sondern den
Motiven der Komposition seiner verschiedenartigen und in verschiedenen
geschichtlichen Situationen abgefaßten Briefteile.
Ich beginne noch einmal mit der Frage, warum der Sammler die scharfe
Abrechnung des Paulus mit den Gegnern in den Kapiteln 10-13 an das
Ende des Ganzen gestellt hat. Ein technischer Zufall, d. h. eine nachträg-
liche Blattvertauschung kann hier nicht gewaltet haben90. Hier liegt ein
Plan vor, wenn auch ein für uns zunächst befremdlicher, da ja, wie es
scheint, die erbauende Wirkung der Sammlung des Ganzen durch die
schrillen und verzweifelten Töne am Ende zerstört und der tröstliche Ein-
druck des ersten Briefteiles völlig in Frage gestellt wird.
Doch ist diese Meinung modern und fällt dahin, wenn man sich ein
formgeschichtliches Gesetz vergegenwärtigt, nach dem urchristliche Schrif-
ten und Schriftenabschnitte überaus häufig gestaltet oder auch nachträg-
lich komponiert sind. Nach weit verbreiteter urchristlicher Anschauung, in
der sich alttestamentliches Erbe91, mythische Vorstellungen und ihre Über-
tragung auf menschliche Gestalten in apokalyptischer Geschichtsdeutung92
vielfältig verschlingen, ist die Pseudoprophetie und das Auftreten von Irr-
lehrern ein Signum der Endzeit93. Am Ende der Tage erscheinen sie, die
Glaubenden zu verwirren und zu verführen. Wichtig ist in unserem Zu-
sammenhang jedoch nicht schon diese bekannte Anschauung, sondern erst
die Tatsache, daß die Ankündigung von Pseudopropheten und Irrlehrern
und die Warnung vor ihnen sehr häufig am Ende einzelner Schriften
und Schriftabschnitte begegnet. Schon Paulus selbst kann dafür angeführt
werden. Eine solche letzte Warnung vor den Verführern enthält der
eigenhändige Briefschluß des Galaterbriefes94, desgleichen - unvermittelt
und unvorbereitet - das letzte Kapitel des Römerbriefes95. Ebenso sprechen
die letzten Verse des I. Korintherbriefs das Anathema über die, welche
90 Μ. Dibelius, Gesch. d. urchr. Lit. II, 1926, S. 18.
91 Der Kampf zwischen echter und falscher Prophetie spielt schon bei den alt-
testamentlichen Propheten und im Deuteronomium (13, 2-6) eine gewichtige
Rolle. Vgl. R. Rendtorff, Artk. προφήτης, Theol. Wörterbuch, VI, 805f. 807f.
92 Vgl. W. Bousset, Der Antichrist, 1895, S. 84ff.; ders., Rel. des Judentums,
3. Aufl., 1926, S. 256; P. Volz, Die Eschatologie der jüdischen Gemeinden,
1934, S. 184. 193f.; Μ. Dibelius, An die Thessalonicher, Exk. zu II Thess 2, 10,
S. 47ff.; R. Meyer, Artk. προφήτης, Theol. Wörterb., VI, 826ff.
93 G. Friedrich, Artk. προφήτης, ebd. 831. 857f. 862f.; H. Braun, Artk. πλανάω,
ebd., 247ff.
94 Gal 6, llff.
95 1 6, 17 - 20. Das 16. Kapitel des Röm. entstammt, wie von vielen m. E. mit
Recht angenommen wird, aus einem ursprünglich nach Ephesus gerichteten
Schreiben ( s. u. S. 35 Anm. 131).
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Unsere Frage nach der Vorgeschichte des II. Korintherbriefes bekommt
damit noch einmal einen neuen Sinn und gilt jetzt nicht mehr nur den Er-
eignissen, die den Hintergrund des „Briefes“ im ganzen bilden, sondern den
Motiven der Komposition seiner verschiedenartigen und in verschiedenen
geschichtlichen Situationen abgefaßten Briefteile.
Ich beginne noch einmal mit der Frage, warum der Sammler die scharfe
Abrechnung des Paulus mit den Gegnern in den Kapiteln 10-13 an das
Ende des Ganzen gestellt hat. Ein technischer Zufall, d. h. eine nachträg-
liche Blattvertauschung kann hier nicht gewaltet haben90. Hier liegt ein
Plan vor, wenn auch ein für uns zunächst befremdlicher, da ja, wie es
scheint, die erbauende Wirkung der Sammlung des Ganzen durch die
schrillen und verzweifelten Töne am Ende zerstört und der tröstliche Ein-
druck des ersten Briefteiles völlig in Frage gestellt wird.
Doch ist diese Meinung modern und fällt dahin, wenn man sich ein
formgeschichtliches Gesetz vergegenwärtigt, nach dem urchristliche Schrif-
ten und Schriftenabschnitte überaus häufig gestaltet oder auch nachträg-
lich komponiert sind. Nach weit verbreiteter urchristlicher Anschauung, in
der sich alttestamentliches Erbe91, mythische Vorstellungen und ihre Über-
tragung auf menschliche Gestalten in apokalyptischer Geschichtsdeutung92
vielfältig verschlingen, ist die Pseudoprophetie und das Auftreten von Irr-
lehrern ein Signum der Endzeit93. Am Ende der Tage erscheinen sie, die
Glaubenden zu verwirren und zu verführen. Wichtig ist in unserem Zu-
sammenhang jedoch nicht schon diese bekannte Anschauung, sondern erst
die Tatsache, daß die Ankündigung von Pseudopropheten und Irrlehrern
und die Warnung vor ihnen sehr häufig am Ende einzelner Schriften
und Schriftabschnitte begegnet. Schon Paulus selbst kann dafür angeführt
werden. Eine solche letzte Warnung vor den Verführern enthält der
eigenhändige Briefschluß des Galaterbriefes94, desgleichen - unvermittelt
und unvorbereitet - das letzte Kapitel des Römerbriefes95. Ebenso sprechen
die letzten Verse des I. Korintherbriefs das Anathema über die, welche
90 Μ. Dibelius, Gesch. d. urchr. Lit. II, 1926, S. 18.
91 Der Kampf zwischen echter und falscher Prophetie spielt schon bei den alt-
testamentlichen Propheten und im Deuteronomium (13, 2-6) eine gewichtige
Rolle. Vgl. R. Rendtorff, Artk. προφήτης, Theol. Wörterbuch, VI, 805f. 807f.
92 Vgl. W. Bousset, Der Antichrist, 1895, S. 84ff.; ders., Rel. des Judentums,
3. Aufl., 1926, S. 256; P. Volz, Die Eschatologie der jüdischen Gemeinden,
1934, S. 184. 193f.; Μ. Dibelius, An die Thessalonicher, Exk. zu II Thess 2, 10,
S. 47ff.; R. Meyer, Artk. προφήτης, Theol. Wörterb., VI, 826ff.
93 G. Friedrich, Artk. προφήτης, ebd. 831. 857f. 862f.; H. Braun, Artk. πλανάω,
ebd., 247ff.
94 Gal 6, llff.
95 1 6, 17 - 20. Das 16. Kapitel des Röm. entstammt, wie von vielen m. E. mit
Recht angenommen wird, aus einem ursprünglich nach Ephesus gerichteten
Schreiben ( s. u. S. 35 Anm. 131).