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Bornkamm, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1965, 1. Abhandlung): Luther als Schriftsteller: vorgelegt am 6. Juni 1964 — Heidelberg, 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.44206#0029
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Luther als Schriftsteller

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Eigenart - nicht zuletzt ihrer Prägung durch sein Deutsch - verdient
hätten, stehen sie doch unter so anderen Ausdrucksgesetzen, daß sie
hier außer Betracht bleiben müssen. Das mindert ihre Bedeutung für
die Erfassung seiner Theologie nicht, wenn es auch der Betrachtung
wert wäre, welche Denk- und Ausdrucksmittel ihm aus dem immer
zunehmenden Gebrauch der deutschen Sprache auch für theologische
Probleme erwachsen, zumal wo es sich um neue, sich aus der Situa-
tion ergebende, nicht von der Überlieferung gestellte Fragen han-
delt33.
Bei den Literaturformen fällt auf, daß Luther sich so gut wie gar
nicht der in der Zeit gebräuchlichen Gattungen bedient. Nirgends
finden sich bei ihm die Formen der humanistischen Kunstprosa: En-
komien, Deklamationen, Dialoge u. a. Und seine wenigen lateini-
schen Gedichte waren Gelegenheitsspielereien, die damals unzählige
trieben und die er bei sich selbst äußerst geringschätzig beurteilte34.
Nicht sehr viel anders steht es bei seinen deutschen Schriften. Auch
hier fehlen fast alle die Kunstformen, die sich in seiner Zeit - nicht
zuletzt dank des Impulses der Reformation - so überraschend schnell
und vielgestaltig durch die Druckerpressen verbreiten. Luther
schreibt keine Lehrgedichte, gereimten Chroniken, Balladen oder
Volkslieder - mit einer Ausnahme, die zeigt, wie sehr er das Zeug
dazu gehabt hätte: das durch Herder berühmt gewordene Lied auf
ponieren liebt, die Welt in einem ästhetisch-moralisch-ironischen Verkleine-
rungsglase betrachtet, so steht zwischen ihr und ihm auch seine Sprache.
Huizinga beschreibt es: „Trotz all diesem Wirklichkeitssinn [der sich in seinem
Vergnügen am Genrebild bezeugt] ist die Welt, die Erasmus sieht und wieder-
gibt, nicht das volle sechzehnte Jahrhundert. Alles liegt unter dem Schleier des
Lateins. Zwischen den Geist des Schriftstellers und die Wirklichkeit hat sich die
antike Ausdrucksform gedrängt. Im Grunde ist seine Geisteswelt eine künst-
liche. Es ist ein gedämpftes und gewähltes sechzehntes Jahrhundert, das er
widerspiegelt. Mit dem Rauhen fehlt ihm auch alles Heftige und Unmittelbare
seiner Zeit. Verglichen mit den Malern, mit Luther und Calvin, mit den Staats-
männern, den Seefahrern, den Kriegern und den Männern der Wissenschaft,
steht Erasmus der Welt als ein Zurückgezogener gegenüber. Ist das wohl allein
der Einfluß des Lateins? Bei all seiner Empfänglichkeit und Empfindsamkeit
steht Erasmus nie vollständig mit dem Leben in Berührung. Durch sein ganzes
Werk hört man keinen Vogel singen und keinen Wind rauschen.“ J. Huizinga,
Erasmus. Deutsch von Werner Kaegi (4. Aufl. 1951), S. 131.
33 Das zur Ergänzung des richtigen Satzes von Gerhard Ebeling: „Den eigentlichen
Zugang zu seinem theologischen Denken gewinnt man vornehmlich über seine
lateinischen Schriften“. Luther. Einführung in sein Denken (1964), 44.
34 35, 596ff. An Jonas 1. Febr. 1537 Br. 8; 22, 22ff.

2 Bornkamm, Luther als Schriftsteller
 
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