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Bornkamm, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1965, 1. Abhandlung): Luther als Schriftsteller: vorgelegt am 6. Juni 1964 — Heidelberg, 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.44206#0030
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Heinrich Bornkamm

die zwei evangelischen Märtyrer zu Brüssel (1523), Ein neues Lied
wir heben an35. Aber er hat dieser ersten, aus der Ergriffenheit über
das Geschehen hervorbrechenden Dichtung kein anderes erzählen-
des Lied mehr folgen lassen. Einige seiner Kirchenlieder bewahren
zwar höchst originell den balladenhaften Ton36, aber sie haben doch
einen gottesdienstlichen oder didaktischen Sinn, und er hat sich erst
daran versucht, als es ihm nicht gelungen war, genug andere für
diese Aufgabe zu gewinnen. Neben diesen großen, durch ihren Zweck
bestimmten dichterischen Leistungen zählen die paar Spottverse und
die Reimsprüche nicht, die man später gesammelt und Luther oft mit
sehr zweifelhaftem Recht zugeschrieben hat37. Genauso verhält es sich
mit den Prosaerzeugnissen seiner Feder. Er hat zwar einige Fabeln
Aesops verdeutscht und in einer für die Jugend und das Haus be-
stimmten Ausgabe herausgebracht, aber sich - anders als z. B. sein
Biograph Johannes Mathesius - nur in einem Falle zur Nachahmung
anreizen lassen: mit der Fabel vom Löwen und dem Esel, die sich
freilich weit vom Stil ihrers Vorbildes entfernt und Reminiszenzen
aus dem alten deutschen Tierepos und -märchen nicht sonderlich
kunstvoll zu einer politischen Satire verarbeitet38. Nicht einmal die
damals so beliebten, im Kampf um die reformatorische Sache hervor-
ragend verwendbaren, von seinen Anhängern und Gegnern oft be-
nutzten „Gesprächbüchlein“ haben Luther veranlaßt, ein einziges
Mal einer seiner Schriften die dialogische Form zu geben. Auch die
massenhaften Motive für die Einkleidungen der Flugschriften in
Symbolgestalten, Personifikationen aus dem täglichen Leben, Le-
genden, Traumbilder, Allegorien, volkstümliche Vergnügungen,
Kultusformen oder kirchliche Gebräuche usw. finden sich bei Luther
so gut wie nie und scheiden als gestaltgebende Elemente für sein
Schrifttum ganz aus - von der Behandlung der Glaubensfragen in
der wirkungsvollen Gestalt des Dramas ganz zu schweigen39. Was
35 35, 91ff., 411 ff. Herder, Von deutscher Art und Sprache (1773). Sämtl. Werke,
hrsg. von Suphan 5, 201f. Dazu Baesecke (vgl. Anm. 36), S. 75.
36 „Nun freut euch liebe Christen gmein“ und „Jesaja dem Propheten das ge-
schah“, vgl. dazu Burger, S. 97ff., zum Kirchenlied im ganzen Georg Baesecke,
Luthers deutscher Versbau. Beitr. z. Gesch. d. dt. Sprache und Lit. 62, 1938,
60-121. Felix Messerschmid, Das Kirchenlied Luthers. Diss. Tübingen 1937.
37 35, 568ff.
38 50, 432ff.; 26, 547ff. Karl Franke, Luthers Fabel vom Löwen und Esel und ihre
politische Bedeutung, Theol. Studien und Kritiken, 1919, 322ff.
39 Übersichten über Formen und Inhalt: Wolfgang Stammler, Von der Mystik
zum Barock (1927), 292ff. Frida Humbel, Ulrich Zwingli und seine Reforma-
 
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