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Heinrich Bornkamm
lieh gemacht. Und die allgemeinen Erbauungsschriften, vor allem die
Traktate der Mystik, der deutschen wie der romanischen, die Luther
früher und besser kannte als die der deutschen41 42, und das mittelalter-
liche Trostschrifttum zeigen eine reiche Auswahl von Gattungen:
Dialoge, Soliloquien (nach augustinischem Vorbild), Specula aller
Art, vielfältige Allegorien (Himmelsburg, Itinerare wie das des „be-
sten Scholastikers“ Bonaventura oder Himmelsstraßen, das Himm-
lische Bergwerk (Coelifodinaj seines Lehrers Paltz, Hortulus animae
(Seelenwurz- oder -lustgarten), Paradisus animae, geistliche Arz-
neien, Apotheken, u. a.), die Formender Ars-moriendi-Literatur oder
als einfachste die Reihungen seelsorgerlicher Gedanken nach dem
Alphabet (z. B. in einem Sterbebüchlein Geilers von Kaysersberg
1497)42. Von diesen Kunstgestaltungen der geistlichen Prosa, der sich
die beliebtesten Prediger und angesehensten Theologen des späten
Mittelalters - allen voran Geiler — bedienten, findet sich bei Luther
nichts mehr - mit einer bezeichnenden Ausnahme: Als Friedrich der
Weise im Sommer 1519 in Torgau schwer erkrankte, erbat sich sein
Sekretär Spalatin eine Trostschrift von Luther für ihn. Luther hatte
wohl nicht nur das Gefühl, für seinen Landesherrn etwas besonders
Kunstvolles leisten zu müssen, weshalb er auch die Schrift lateinisch
entwarf und es im Drang der Geschäfte Spalatin überließ, sie für
den Kurfürsten „frei zu übersetzen“. Sondern er gab ihr auch eine
Einkleidung, die den Formen mittelalterlicher Kunstprosa entsprach,
aber zugleich ganz persönlich auf den Adressaten bezogen war. Die
Tessaradecas consolatoria pro laborantibus et oneratis (Spätsommer
1519, gedr. 1520) sollte dem Kurfürsten an Stelle der beliebten An-
41 Erich Vogelsang, Luther und die Mystik. Luther jahrbuch 1937, 32-54 (genaue
Aufgliederung des Luther bekannten mystischen Schrifttums). Friedrich Th.
Ruhland, Luther und die Brautmystik. Theol. Diss. Gießen 1938 (nach den
Schriften bis 1521). Artur Rühl, Der Einfluß der Mystik auf Denken und Ent-
wicklung des jungen Luther. Theol. Diss. Marburg 1960.
42 Reiches, nach Inhalten, nicht nach Formen gegliedertes Material bei Wolfg.
Stammler, Deutsche Philologie im Aufriß II2, 756ff. Eine noch immer nützliche
Textsammlung (1470-1520): Vincenz Hasak, Der christliche Glaube des deut-
schen Volkes beim Schlüsse des Mittelalters, 1868. Luther über Bonaventura
Tischreden 1; 330, 1; WA 7; 774, 13, über mittelalterliche Gebetbücher 10, II;
375f. Helmut Appel, Anfechtung und Trost im Spätmittelalter und bei Luther
(Sehr, des Ver. f. Reformationsgesch. 165, 1938). Luise Klein, Die Bereitung
zum Sterben. Studien zu den frühen reformatorischen Sterbebüchern. Theol.
Diss. Göttingen 1958. Masch.-Schr. (Selbstanzeige in Theol. Lit. Zeitung 86.
1961, 785f.).
Heinrich Bornkamm
lieh gemacht. Und die allgemeinen Erbauungsschriften, vor allem die
Traktate der Mystik, der deutschen wie der romanischen, die Luther
früher und besser kannte als die der deutschen41 42, und das mittelalter-
liche Trostschrifttum zeigen eine reiche Auswahl von Gattungen:
Dialoge, Soliloquien (nach augustinischem Vorbild), Specula aller
Art, vielfältige Allegorien (Himmelsburg, Itinerare wie das des „be-
sten Scholastikers“ Bonaventura oder Himmelsstraßen, das Himm-
lische Bergwerk (Coelifodinaj seines Lehrers Paltz, Hortulus animae
(Seelenwurz- oder -lustgarten), Paradisus animae, geistliche Arz-
neien, Apotheken, u. a.), die Formender Ars-moriendi-Literatur oder
als einfachste die Reihungen seelsorgerlicher Gedanken nach dem
Alphabet (z. B. in einem Sterbebüchlein Geilers von Kaysersberg
1497)42. Von diesen Kunstgestaltungen der geistlichen Prosa, der sich
die beliebtesten Prediger und angesehensten Theologen des späten
Mittelalters - allen voran Geiler — bedienten, findet sich bei Luther
nichts mehr - mit einer bezeichnenden Ausnahme: Als Friedrich der
Weise im Sommer 1519 in Torgau schwer erkrankte, erbat sich sein
Sekretär Spalatin eine Trostschrift von Luther für ihn. Luther hatte
wohl nicht nur das Gefühl, für seinen Landesherrn etwas besonders
Kunstvolles leisten zu müssen, weshalb er auch die Schrift lateinisch
entwarf und es im Drang der Geschäfte Spalatin überließ, sie für
den Kurfürsten „frei zu übersetzen“. Sondern er gab ihr auch eine
Einkleidung, die den Formen mittelalterlicher Kunstprosa entsprach,
aber zugleich ganz persönlich auf den Adressaten bezogen war. Die
Tessaradecas consolatoria pro laborantibus et oneratis (Spätsommer
1519, gedr. 1520) sollte dem Kurfürsten an Stelle der beliebten An-
41 Erich Vogelsang, Luther und die Mystik. Luther jahrbuch 1937, 32-54 (genaue
Aufgliederung des Luther bekannten mystischen Schrifttums). Friedrich Th.
Ruhland, Luther und die Brautmystik. Theol. Diss. Gießen 1938 (nach den
Schriften bis 1521). Artur Rühl, Der Einfluß der Mystik auf Denken und Ent-
wicklung des jungen Luther. Theol. Diss. Marburg 1960.
42 Reiches, nach Inhalten, nicht nach Formen gegliedertes Material bei Wolfg.
Stammler, Deutsche Philologie im Aufriß II2, 756ff. Eine noch immer nützliche
Textsammlung (1470-1520): Vincenz Hasak, Der christliche Glaube des deut-
schen Volkes beim Schlüsse des Mittelalters, 1868. Luther über Bonaventura
Tischreden 1; 330, 1; WA 7; 774, 13, über mittelalterliche Gebetbücher 10, II;
375f. Helmut Appel, Anfechtung und Trost im Spätmittelalter und bei Luther
(Sehr, des Ver. f. Reformationsgesch. 165, 1938). Luise Klein, Die Bereitung
zum Sterben. Studien zu den frühen reformatorischen Sterbebüchern. Theol.
Diss. Göttingen 1958. Masch.-Schr. (Selbstanzeige in Theol. Lit. Zeitung 86.
1961, 785f.).