Luther als Schriftsteller
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rufung der vierzehn Nothelfer Trost bringen durch die Betrachtung
von sieben schlimmeren Übeln und wie sie überwunden werden kön-
nen, und von sieben Gütern, die uns zu erquicken vermögen. Sie sind
angeordnet wie auf den zwei Tafeln eines Diptychons, „das aber
nicht die Kirchenwände zieren, sondern ein frommes Herz aufrichten
und stärken soll43“. Luther wollte seinem Landesherrn einen literari-
schen Krankenbesuch machen und ihn zugleich über den „Aberglau-
ben“ an die Nothelfer hinausführen44, dem Friedrich deutlich genug
gehuldigt hatte, als er 1505 bei Cranach einen Flügelaltar für die
Torgauer Marienkirche bestellte, auf dessen Predella die vierzehn
Nothelfer dargestellt sind45. Luther hat das kunstvolle Gewand nur
noch übergestreift und sich ganz auf die Sache konzentriert; auch
die Bilder sind nicht mehr bildhaft gesehen und ausgemalt, sondern
nur ein Gerüst für die seelsorgerliche Meditation. So zeigt gerade
diese einzige im Zeitgeschmack durchstilisierte Schrift, wie fremd
diese ästhetischen Hilfsmittel ihm eigentlich waren. Aber es war kein
Wunder, daß er damit nicht nur beim Kurfürsten, sondern, wie Eras-
mus bezeugt, auch im Lager seiner Gegner besonderen Beifall fand46.
Luthers eigener schriftstellerischer Weg läßt sich kaum besser ver-
deutlichen als durch den Vergleich mit der andern, unmittelbar nach
der Tessaradecas entstandenen Trostschrift, dem Sermon von der
Bereitung zum Sterben (1519). Durchaus aus dem inneren Zusam-
menhang mit den Motiven der mittelalterlichen Ars moriendi und
Sakramentsfrömmigkeit erwachsen, wirkt sie, noch einfach durch-
gezählt, allein durch den in sich geschlossenen Fortgang des Gedan-
kens und die Kraft und Wärme der Sprache. Auch der Bildbegriff,
43 6; 106, 5ff. Auch nach dem Tode des Kurfürsten hat Luther als Unterschrift für
ein Bild eine Probe meistersingerischer Kunstpoesie geliefert. 35, 587. Baesecke,
S. 114.
44 6; 105, 7ff.; 106, 5ff. Zu den Nothelfern Johan Huizinga, Herbst des Mittel-
alters (8. Aufl. Krüner, Bd. 204), 1961, 233, 239f. Georg Schreiber, Die Vier-
zehn Nothelfer in Volksfrömmigkeit und Sakralkultur (1959).
45 Abgebildet bei Oskar Thulin, Die Lutherstadt Wittenberg und Torgau (1932),
Nr. 74. Dazu Hans Preuss, Das Frömmigkeitsmotiv von Luthers Tessaradekas,
Neue kirchl. Zeitschr. 26. 1915, 230.
46 6, 100. Erasmus an Bischof Christoph von Basel, Jan. 1523. Allen 5; 163, 56.
Luther gab die Schrift 1535 noch einmal, weil sie durch die vielen Nachdrucke
ganz entstellt sei, heraus: als ein „Zeichen seiner Entwicklung“ (testimonium
mei profectus), also als ein historisch gewordenes Dokument, und um den
„Antilogisten“, die seine Widersprüche sammelten, etwas zukommen zu lassen.
6; 104, 12.
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rufung der vierzehn Nothelfer Trost bringen durch die Betrachtung
von sieben schlimmeren Übeln und wie sie überwunden werden kön-
nen, und von sieben Gütern, die uns zu erquicken vermögen. Sie sind
angeordnet wie auf den zwei Tafeln eines Diptychons, „das aber
nicht die Kirchenwände zieren, sondern ein frommes Herz aufrichten
und stärken soll43“. Luther wollte seinem Landesherrn einen literari-
schen Krankenbesuch machen und ihn zugleich über den „Aberglau-
ben“ an die Nothelfer hinausführen44, dem Friedrich deutlich genug
gehuldigt hatte, als er 1505 bei Cranach einen Flügelaltar für die
Torgauer Marienkirche bestellte, auf dessen Predella die vierzehn
Nothelfer dargestellt sind45. Luther hat das kunstvolle Gewand nur
noch übergestreift und sich ganz auf die Sache konzentriert; auch
die Bilder sind nicht mehr bildhaft gesehen und ausgemalt, sondern
nur ein Gerüst für die seelsorgerliche Meditation. So zeigt gerade
diese einzige im Zeitgeschmack durchstilisierte Schrift, wie fremd
diese ästhetischen Hilfsmittel ihm eigentlich waren. Aber es war kein
Wunder, daß er damit nicht nur beim Kurfürsten, sondern, wie Eras-
mus bezeugt, auch im Lager seiner Gegner besonderen Beifall fand46.
Luthers eigener schriftstellerischer Weg läßt sich kaum besser ver-
deutlichen als durch den Vergleich mit der andern, unmittelbar nach
der Tessaradecas entstandenen Trostschrift, dem Sermon von der
Bereitung zum Sterben (1519). Durchaus aus dem inneren Zusam-
menhang mit den Motiven der mittelalterlichen Ars moriendi und
Sakramentsfrömmigkeit erwachsen, wirkt sie, noch einfach durch-
gezählt, allein durch den in sich geschlossenen Fortgang des Gedan-
kens und die Kraft und Wärme der Sprache. Auch der Bildbegriff,
43 6; 106, 5ff. Auch nach dem Tode des Kurfürsten hat Luther als Unterschrift für
ein Bild eine Probe meistersingerischer Kunstpoesie geliefert. 35, 587. Baesecke,
S. 114.
44 6; 105, 7ff.; 106, 5ff. Zu den Nothelfern Johan Huizinga, Herbst des Mittel-
alters (8. Aufl. Krüner, Bd. 204), 1961, 233, 239f. Georg Schreiber, Die Vier-
zehn Nothelfer in Volksfrömmigkeit und Sakralkultur (1959).
45 Abgebildet bei Oskar Thulin, Die Lutherstadt Wittenberg und Torgau (1932),
Nr. 74. Dazu Hans Preuss, Das Frömmigkeitsmotiv von Luthers Tessaradekas,
Neue kirchl. Zeitschr. 26. 1915, 230.
46 6, 100. Erasmus an Bischof Christoph von Basel, Jan. 1523. Allen 5; 163, 56.
Luther gab die Schrift 1535 noch einmal, weil sie durch die vielen Nachdrucke
ganz entstellt sei, heraus: als ein „Zeichen seiner Entwicklung“ (testimonium
mei profectus), also als ein historisch gewordenes Dokument, und um den
„Antilogisten“, die seine Widersprüche sammelten, etwas zukommen zu lassen.
6; 104, 12.