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Bornkamm, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1965, 1. Abhandlung): Luther als Schriftsteller: vorgelegt am 6. Juni 1964 — Heidelberg, 1965

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https://doi.org/10.11588/diglit.44206#0035
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Luther als Schriftsteller

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zen ist, wenn man sie erst einmal angreift und sieht, wie die sich
stützenden Mauern sich auch im Fall gegenseitig mitreißen müssen49.
Diese ermutigende Wirkung des Bildes würde bei einer langatmigen
Durchführung verlorengehen. Luther fügt dann seine Reformvor-
schläge in lockerer Folge an, so daß die Schrift jeder künstlerischen
Gestaltung und sogar einer sorgfältigen Gliederung entbehrt. Und
doch erzielte er mit diesem Schnellfeuer der Argumente und dem
Ernst, mit dem er die Verantwortlichen zum Handeln auf rief, einen
ungeheuren Erfolg, der den aller kunstvollen Satiren weit übertraf.
Künstlerisch viel glücklicher, ja ein klassisches Beispiel dafür, was
Luther mit seiner schriftstellerischen Art zu gestalten vermochte, ist
der bald auf die Adelsschrift folgende Traktat Von der Freiheit eines
Christenmenschen (1520). Er bietet einen vollkommen in sich ge-
schlossenen Gedankengang, der seine Themen mit leichter Hand
nicht nur, obwohl noch immer durchzählend, aneinanderreiht, son-
dern eins aus dem anderen entwickelt und zu einfachster, anschau-
licher Formulierung bringt. Es bedeutete dafür gewiß eine Hilfe,
daß er die Haupteinteilung: der Christ ein freier Herr und ein
dienstbarer Knecht aller Dinge, einem Pauluswort (l.Kor. 9, 19)
entnehmen konnte. Und doch wurde damit der Traktat nicht zur
Auslegung. Sondern er verknüpfte den Textgedanken mit der grund-
legenden anthropologischen Unterscheidung des geistlichen und des
leiblichen Menschen und verwob damit nahezu alle Fragen des
Glaubens, die ihm am Herzen lagen, so daß er in dem Widmungs-
brief an Leo X. mit Recht von dem Büchlein sagen konnte, es sei
„die gantz summa eyniß christlichen Leben drynnen begriffen, ßo
der synn vorstanden wirt50“. Die Voraussetzung dafür war natür-
lich, daß Luther diese Gedanken unzählige Male vorher in seinen
Vorlesungen und Predigten durchdacht und ausgesprochen hatte. Es
besteht - darauf hat vor allem Wilhelm Maurer hingewiesen — nicht
selten ein literarischer Zusammenhang zwischen seinen wissenschaft-
lichen Auslegungen oder Schriften und späteren Zeittraktaten, an
dem die Klärung seiner Gedanken schön zu verfolgen ist. So lassen
sich Verbindungen für manche Motive der Freiheitsschrift zu seiner
vorhergehenden Psalmenauslegung ziehen51. Aber die Bändigung
49 6 ; 406, 21-415, 6. - Deutsche Literatur, Reformation I (hrsg. von A. E. Berger),
81, 32-92, 2.
50 7; 11, 9. Ausg. von Berger, S. 162, 2.
51 Wilh. Maurer, Von der Freiheit eines Christenmenschen (1949), llff., 24f. Vgl.
auch Anm. 64.
 
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