24
Heinrich Bornkamm
der Gedankenfülle in einer wohlabgewogenen Gestalt war die Frucht
der konzentrierten Arbeit weniger Tage.
Auch dort, wo Luther in der Auseinandersetzung zur Waffe der
Satire greift - und es geschieht oft genug bedient er sich ihrer nicht
in der literarischen Form, die in so ungewöhnlichem Ausmaß die
Dichtung des 16. Jahrhunderts bestimmt. Er bezieht sie vielmehr als
ein Ausdrucksmittel unter andern in den natürlichen Fluß seines
Schriftstellerns ein. Er verwendet dafür auch nicht die üblichen
humanistischen Symbolgestalten und Allegorien, sondern er begnügt
sich mit den Mitteln der direkten Invektive: einem - oft grobiani-
schen - Wortwitz, grimmig-ironischen Beschreibungen der kirch-
lichen Zustände oder der Gegner, spöttischen Konsequenzen aus
ihrer Meinung oder grotesken Phantasiespielen wie der komischen
Liste neuer Reliquien für den Schatz Albrechts von Mainz52. Ge-
legentlich schafft er sich auch einmal eine eigene literarische Form.
Ein witziges Beispiel dafür bietet die letzte Antwort, die er nach
einem heftigen Schriftenkrieg seinem hartnäckigen Gegner Emser
erteilte53. Er gab sich von dessen „Quadruplik“ scheinbar geschlagen
- „er hewet nach myr eyn eile tieff ynn den harten fellß, da blinckellt
eyn mal seyn scharff schneydens schwerdt, alß were er meyster
Lorents unter den schwitzernn“ — und leistete einen formellen Wi-
derruf54. Durch Folgerungen aus dem Zugestandenen verwandelte
er ihn aber ebenso schnell und unmerklich wieder in eine voll-
ständige Abfuhr des Gegners und in die richtige Auslegung des
strittigen Textes. Zu seinem Vergnügen ging der Steinbock, wie er
Emser nach seinem von ihm selbst literarisch zur Schau getragenen
Wappen55 zu nennen pflegte, in die Falle und nahm den Widerruf
für bare Münze.
Der Verzicht auf fast alle gängigen Kunstgattungen und die Re-
duktion auf die einfachsten, sachlichsten literarischen Formen hat
den eigenen gestaltenden Kräften in Luthers Schriftstellerei erst
Raum geschaffen. Ihr wesentliches Kennzeichen ist, daß er kaum je
52 Neue Zeitung vom Rhein (1542) 53, 404£. Ausgabe von Clemen 4, 386f.
53 Ein Widerspruch D. Luthers seines Irrthums, erzwungen durch den allerhochge-
lehrtesten Priester Gottes, Herrn Hieronymo Emser (1521). 8, 241ff.
54 8 ; 250, 7ff. 20ff. Meister Lorenz vermutlich = Meister Hans (Scharfrichter).
Karl Sang, Die appellative Verwendung von Eigennamen bei Luther (1921),
24.
53 Es stand mit dem Motto „Hüt dich, der Bock stößt dich!“ auf den Drucken sei-
ner Schriften.
Heinrich Bornkamm
der Gedankenfülle in einer wohlabgewogenen Gestalt war die Frucht
der konzentrierten Arbeit weniger Tage.
Auch dort, wo Luther in der Auseinandersetzung zur Waffe der
Satire greift - und es geschieht oft genug bedient er sich ihrer nicht
in der literarischen Form, die in so ungewöhnlichem Ausmaß die
Dichtung des 16. Jahrhunderts bestimmt. Er bezieht sie vielmehr als
ein Ausdrucksmittel unter andern in den natürlichen Fluß seines
Schriftstellerns ein. Er verwendet dafür auch nicht die üblichen
humanistischen Symbolgestalten und Allegorien, sondern er begnügt
sich mit den Mitteln der direkten Invektive: einem - oft grobiani-
schen - Wortwitz, grimmig-ironischen Beschreibungen der kirch-
lichen Zustände oder der Gegner, spöttischen Konsequenzen aus
ihrer Meinung oder grotesken Phantasiespielen wie der komischen
Liste neuer Reliquien für den Schatz Albrechts von Mainz52. Ge-
legentlich schafft er sich auch einmal eine eigene literarische Form.
Ein witziges Beispiel dafür bietet die letzte Antwort, die er nach
einem heftigen Schriftenkrieg seinem hartnäckigen Gegner Emser
erteilte53. Er gab sich von dessen „Quadruplik“ scheinbar geschlagen
- „er hewet nach myr eyn eile tieff ynn den harten fellß, da blinckellt
eyn mal seyn scharff schneydens schwerdt, alß were er meyster
Lorents unter den schwitzernn“ — und leistete einen formellen Wi-
derruf54. Durch Folgerungen aus dem Zugestandenen verwandelte
er ihn aber ebenso schnell und unmerklich wieder in eine voll-
ständige Abfuhr des Gegners und in die richtige Auslegung des
strittigen Textes. Zu seinem Vergnügen ging der Steinbock, wie er
Emser nach seinem von ihm selbst literarisch zur Schau getragenen
Wappen55 zu nennen pflegte, in die Falle und nahm den Widerruf
für bare Münze.
Der Verzicht auf fast alle gängigen Kunstgattungen und die Re-
duktion auf die einfachsten, sachlichsten literarischen Formen hat
den eigenen gestaltenden Kräften in Luthers Schriftstellerei erst
Raum geschaffen. Ihr wesentliches Kennzeichen ist, daß er kaum je
52 Neue Zeitung vom Rhein (1542) 53, 404£. Ausgabe von Clemen 4, 386f.
53 Ein Widerspruch D. Luthers seines Irrthums, erzwungen durch den allerhochge-
lehrtesten Priester Gottes, Herrn Hieronymo Emser (1521). 8, 241ff.
54 8 ; 250, 7ff. 20ff. Meister Lorenz vermutlich = Meister Hans (Scharfrichter).
Karl Sang, Die appellative Verwendung von Eigennamen bei Luther (1921),
24.
53 Es stand mit dem Motto „Hüt dich, der Bock stößt dich!“ auf den Drucken sei-
ner Schriften.