Luther als Schriftsteller
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er das Problem in die Wirklichkeit des menschlichen oder kirchlichen
Lebens übersetzt, die Ausbrüche seines Temperaments in mitreißen-
der Herzlichkeit, beschwörender Sorge oder - oft maßlosem - Zorn,
die dichterische Beschreibung der göttlichen Taten in der Geschichte
oder der Wunder der Natur, die in einer Fülle scharf gesehener
Einzelheiten sein nimmermüdes Staunen erwecken, die unerschöpf-
liche Welt seiner Bilder73. Sie beruht, philosophisch gesehen, auf
seiner Auffassung des Bildes als Aussage von Wahrheit. In der
Auseinandersetzung mit Zwingli, welche die ganze Breite seines
theologischen und philosophischen Denkens durchmaß, verfocht er
leidenschaftlich, daß das Bild niemals nur Redefigur, sondern Be-
kundung von Sein ist. „Was nichts ist, das deutet nichts; was aber
deutet, das mus zuvor ein wesen und ein gleichnis des andern wesens
haben.“ Eine geschnitzte oder silberne Rose stellt nicht nur eine Rose
dar, sondern ist eine. Im Abbild ist verhüllte Wirklichkeit. Das ist
nicht nur ein ontologischer Satz, sondern zugleich der Mutterboden
seines Dichtertums74.
Luther schreibt keine Dialoge, sondern er führt sie. Er hat die
Theaterwelt der Gesprächsbüchlein oder sonstigen Einkleidungen
völlig abgestoßen, aber er befindet sich in ständigen Zwiegesprächen
riesigen Ausmaßes: mit Gott in seinem Wort, mit Menschen oder
Ständen, denen er seelsorgerlich helfen möchte, mit einer großen
Schar von Gegnern der verschiedensten Art. Es sind Zwiegespräche
von nackter Realität, in denen keine literarische Konvention zwischen
73 Vgl. die Abschnitte über Luthers Natur- und Geschichtsbild in meinem in Anm.
31 genannten Buch: Luthers geistige Welt. Unter den Beispielen für Luthers
Sprachkunst verdienen einen besonderen Hinweis seine Vorreden zu den Bü-
chern der Bibel, nicht nur, weil einige von ihnen kleine Kompendien seiner
Stilmittel sind (vor allem die zweite Psalter-Vorrede [1528] WADB 10, I, 98ff.,
auch bei Berger, Dt. Lit. Ref. I, 251ff.), sondern weil er mit ihnen überhaupt
einer tausend Jahre alten literarischen Gattung einen völlig neuen Inhalt und
Wert gegeben hat. Vgl. Maurice E. Schild, Abendländische Bibelvorreden bis
zur Lutherbibel. Theol. Diss. Heidelberg 1964. Masch.-Schr.
74 26; 383, 34. Vgl. dazu Erwin Metzke, Sakrament und Metaphysik. In: Coinci-
dentia oppositorum. Ges. Studien zur Philosophiegeschichte (1961), S. 1711.
Peter Meinhold, Luthers Sprachphilosophie (1958), S. 40. Luther macht sogar
den verzweifelten Versuch, das aus der römischen Rhetorik zu beweisen, auf
die sich Zwingli für seine Lehre von den Tropen stützte. Eine Dichterin wie
Ricarda Huch spürte hier die Verwandtschaft. „Man muß sich vor allem des
abstrakten Denkens entwöhnen und wissen, daß Worte und Bilder wirklich
Sachen bedeuten.“ (An Marie Baum 8. Aug. 1916. Briefe an Freunde, 1955,
S. 53, im Blick auf ihr Buch: Luthers Glaube, 1916.)
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er das Problem in die Wirklichkeit des menschlichen oder kirchlichen
Lebens übersetzt, die Ausbrüche seines Temperaments in mitreißen-
der Herzlichkeit, beschwörender Sorge oder - oft maßlosem - Zorn,
die dichterische Beschreibung der göttlichen Taten in der Geschichte
oder der Wunder der Natur, die in einer Fülle scharf gesehener
Einzelheiten sein nimmermüdes Staunen erwecken, die unerschöpf-
liche Welt seiner Bilder73. Sie beruht, philosophisch gesehen, auf
seiner Auffassung des Bildes als Aussage von Wahrheit. In der
Auseinandersetzung mit Zwingli, welche die ganze Breite seines
theologischen und philosophischen Denkens durchmaß, verfocht er
leidenschaftlich, daß das Bild niemals nur Redefigur, sondern Be-
kundung von Sein ist. „Was nichts ist, das deutet nichts; was aber
deutet, das mus zuvor ein wesen und ein gleichnis des andern wesens
haben.“ Eine geschnitzte oder silberne Rose stellt nicht nur eine Rose
dar, sondern ist eine. Im Abbild ist verhüllte Wirklichkeit. Das ist
nicht nur ein ontologischer Satz, sondern zugleich der Mutterboden
seines Dichtertums74.
Luther schreibt keine Dialoge, sondern er führt sie. Er hat die
Theaterwelt der Gesprächsbüchlein oder sonstigen Einkleidungen
völlig abgestoßen, aber er befindet sich in ständigen Zwiegesprächen
riesigen Ausmaßes: mit Gott in seinem Wort, mit Menschen oder
Ständen, denen er seelsorgerlich helfen möchte, mit einer großen
Schar von Gegnern der verschiedensten Art. Es sind Zwiegespräche
von nackter Realität, in denen keine literarische Konvention zwischen
73 Vgl. die Abschnitte über Luthers Natur- und Geschichtsbild in meinem in Anm.
31 genannten Buch: Luthers geistige Welt. Unter den Beispielen für Luthers
Sprachkunst verdienen einen besonderen Hinweis seine Vorreden zu den Bü-
chern der Bibel, nicht nur, weil einige von ihnen kleine Kompendien seiner
Stilmittel sind (vor allem die zweite Psalter-Vorrede [1528] WADB 10, I, 98ff.,
auch bei Berger, Dt. Lit. Ref. I, 251ff.), sondern weil er mit ihnen überhaupt
einer tausend Jahre alten literarischen Gattung einen völlig neuen Inhalt und
Wert gegeben hat. Vgl. Maurice E. Schild, Abendländische Bibelvorreden bis
zur Lutherbibel. Theol. Diss. Heidelberg 1964. Masch.-Schr.
74 26; 383, 34. Vgl. dazu Erwin Metzke, Sakrament und Metaphysik. In: Coinci-
dentia oppositorum. Ges. Studien zur Philosophiegeschichte (1961), S. 1711.
Peter Meinhold, Luthers Sprachphilosophie (1958), S. 40. Luther macht sogar
den verzweifelten Versuch, das aus der römischen Rhetorik zu beweisen, auf
die sich Zwingli für seine Lehre von den Tropen stützte. Eine Dichterin wie
Ricarda Huch spürte hier die Verwandtschaft. „Man muß sich vor allem des
abstrakten Denkens entwöhnen und wissen, daß Worte und Bilder wirklich
Sachen bedeuten.“ (An Marie Baum 8. Aug. 1916. Briefe an Freunde, 1955,
S. 53, im Blick auf ihr Buch: Luthers Glaube, 1916.)