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Roland Hampe
zu tun? Sollten die Winde, die gerade hier am Hafen von Amnisos
so wichtig waren, durch Windopfer beschwichtigt werden? Brachte
man ihnen Opfer in vier Gruben dar ähnlich den vier Gruben von
Titane? Wir erinnern uns der ,Windgräber‘ von Ikaria mit ihren
Krugscherben.
Unsere Vermutung bliebe vage Spekulation, wenn wir nicht neu-
erdings wüßten, daß es in Kreta in spätminoischer Zeit einen Kult
der Winde gab, nicht als gelegentliche, einmalige Opfer, sondern als
ständige Einrichtung mit einer „Priesterin der Winde“. Denn eine
solche wird mehrfach auf Linear-B-Täfelchen aus Knossos genannt64.
Es handelt sich dabei um Teile eines rituellen Kalenders, in dem
bestimmte Gaben aufgeführt werden, die einzelnen Gottheiten oder
ihren Priestern an einer begrenzten Zahl von Orten dargebracht
werden sollen. Auf dem einen (Kn. Fp 13, 3) steht zweimal a-ne-
mo-i-je-re-ja, zusammengeschrieben ohne Worttrenner, beide Male
im Empfänger-Dativ des weiblichen Singular, also άνεμων ίερεία. Auf
diesem Täfelchen sind die Spenden für Windkulte, wohl an zwei
verschiedenen Orten, bestimmt65. - Das andere Mal (Kn. Fp 1, 10)
steht a-ne-mo / i-je-re-ja, mit Worttrenner, auf einer Tafel mit einer
Aufzählung verschiedener Götter, die wohlriechende Ole empfan-
gen. Das ist der ,Diktäische Zeus4; da stehen ,Alle Götter4 oder die
,Erinys‘. Ein Posten ist für ein ,Daidaleion‘ bestimmt, was möglicher-
weise dafür sprechen könnte, daß Daidalos damals schon ein kultge-
nießender Heros war; doch wurden auch andere Erklärungen vor-
geschlagen. Ein weiterer Posten geht an ,Alle Götter4, und zwar in
Amnisos. Dorthin soll nach einem anderen Täfelchen (Gg 705) der
,Eleuthia von Amnisos4, d. h. der Eileithyia, die Homer erwähnt, so-
wie ,Allen Göttern4 je eine Amphora Honig gesendet werden66.
64 E. L. Bennett, J. Chadwick, Μ. Ventris, The Knossos Tablets (1956) 47; Ventris-
Chadwick, Documents in Mycenaean Greek (1956) 127. 304. - Weitere Lit. zu
den Kulten bei L. A. Stella, La religione greca nei testi micenei, Numen 5
(1958) 18ff. 35. Mögliche Erwähnung des Zephyros ibid. 35, 63; A. Sacconi,
Anemoi, SMSR. 35 (1964) 137ff.
65 Daß der angegebene Ortsname utano möglicherweise Itanos, am Nordostkap
von Kreta, bedeute, ist eine ansprechende Vermutung: L. A. Stella, La Civiltä
Micenea (1965) 13 mit Anm. 30. 253 mit Anm. 88.
66 P. Faure nimmt in seinem Buche über die kretischen Höhlen (s. oben Anm. 63)
an, daß diese wie andere Höhlen erst in spätminoischer Zeit zu Kultstätten wur¬
den, eine Annahme, die mich besonders im Falle von Amnisos nicht überzeugt. -
Zur kretischen Namensform Eleuthyia und zum Kult dieser Göttin auf Kreta
vgl. R. F. Villets, Cretan Cults and Festivals (1962) 51 f. 143. 168ff. 252.
Roland Hampe
zu tun? Sollten die Winde, die gerade hier am Hafen von Amnisos
so wichtig waren, durch Windopfer beschwichtigt werden? Brachte
man ihnen Opfer in vier Gruben dar ähnlich den vier Gruben von
Titane? Wir erinnern uns der ,Windgräber‘ von Ikaria mit ihren
Krugscherben.
Unsere Vermutung bliebe vage Spekulation, wenn wir nicht neu-
erdings wüßten, daß es in Kreta in spätminoischer Zeit einen Kult
der Winde gab, nicht als gelegentliche, einmalige Opfer, sondern als
ständige Einrichtung mit einer „Priesterin der Winde“. Denn eine
solche wird mehrfach auf Linear-B-Täfelchen aus Knossos genannt64.
Es handelt sich dabei um Teile eines rituellen Kalenders, in dem
bestimmte Gaben aufgeführt werden, die einzelnen Gottheiten oder
ihren Priestern an einer begrenzten Zahl von Orten dargebracht
werden sollen. Auf dem einen (Kn. Fp 13, 3) steht zweimal a-ne-
mo-i-je-re-ja, zusammengeschrieben ohne Worttrenner, beide Male
im Empfänger-Dativ des weiblichen Singular, also άνεμων ίερεία. Auf
diesem Täfelchen sind die Spenden für Windkulte, wohl an zwei
verschiedenen Orten, bestimmt65. - Das andere Mal (Kn. Fp 1, 10)
steht a-ne-mo / i-je-re-ja, mit Worttrenner, auf einer Tafel mit einer
Aufzählung verschiedener Götter, die wohlriechende Ole empfan-
gen. Das ist der ,Diktäische Zeus4; da stehen ,Alle Götter4 oder die
,Erinys‘. Ein Posten ist für ein ,Daidaleion‘ bestimmt, was möglicher-
weise dafür sprechen könnte, daß Daidalos damals schon ein kultge-
nießender Heros war; doch wurden auch andere Erklärungen vor-
geschlagen. Ein weiterer Posten geht an ,Alle Götter4, und zwar in
Amnisos. Dorthin soll nach einem anderen Täfelchen (Gg 705) der
,Eleuthia von Amnisos4, d. h. der Eileithyia, die Homer erwähnt, so-
wie ,Allen Göttern4 je eine Amphora Honig gesendet werden66.
64 E. L. Bennett, J. Chadwick, Μ. Ventris, The Knossos Tablets (1956) 47; Ventris-
Chadwick, Documents in Mycenaean Greek (1956) 127. 304. - Weitere Lit. zu
den Kulten bei L. A. Stella, La religione greca nei testi micenei, Numen 5
(1958) 18ff. 35. Mögliche Erwähnung des Zephyros ibid. 35, 63; A. Sacconi,
Anemoi, SMSR. 35 (1964) 137ff.
65 Daß der angegebene Ortsname utano möglicherweise Itanos, am Nordostkap
von Kreta, bedeute, ist eine ansprechende Vermutung: L. A. Stella, La Civiltä
Micenea (1965) 13 mit Anm. 30. 253 mit Anm. 88.
66 P. Faure nimmt in seinem Buche über die kretischen Höhlen (s. oben Anm. 63)
an, daß diese wie andere Höhlen erst in spätminoischer Zeit zu Kultstätten wur¬
den, eine Annahme, die mich besonders im Falle von Amnisos nicht überzeugt. -
Zur kretischen Namensform Eleuthyia und zum Kult dieser Göttin auf Kreta
vgl. R. F. Villets, Cretan Cults and Festivals (1962) 51 f. 143. 168ff. 252.