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Erich Köhler
darf es - wiederum nach Hegel - einer Idealstörung in Gestalt einer
«Entzweiung» durch eine «Kollision, die zu Reaktionen führt und in
dieser Rücksicht wie den Ausgangspunkt so auch den Übergang zur
eigentlichen Handlung bildet»12. Die Kollision hat «ihren Grund in
einer FerZeizwng, welche nicht als Verletzung bleiben kann, sondern
aufgehoben werden muß; sie ist eine Veränderung des ohne sie har-
monischen Zustands, welche selbst wieder zu verändern ist»13.
Vielleicht ist bereits deutlich geworden, wie sehr die Hegelschen
Bestimmungen der epischen Grundstruktur dem Rolandslied an-
gemessen sind, fast so als hätte Hegel sie an ihm und nicht am an-
tiken Epos gewonnen. Die «Verletzung» des in den zitierten beiden
Laissen noch unproblematisch dargestellten Ideals, die zuerst im
Opfertod des an der «Verletzung» mitschuldigen Roland und
schließlich in der Bestrafung Ganelons wieder aufgehoben wird, er-
folgt in der Ratsszene aufgrund einer Kollision, die ihrerseits nicht
von einem kontingenten Ereignis willkürlich gestiftet, sondern allen-
falls von ihm ausgelöst wird. Ihr Minimum an Willkür und ihr
Maximum an souveräner dichterischer Gestaltung zu zeigen ist un-
sere nächste Aufgabe.
Noch einmal wollen wir uns auf Hegel berufen. Soll die Kollision
wirklich das Wesentliche zur Anschauung bringen, so muß der Dich-
ter eine «Situation» schaffen, in welcher der allgemeine Zustand
»zur Bestimmtheit partikularisiert erscheint, und in dieser Bestimmt-
heit andererseits zugleich das Anregende für die bestimmte Äuße-
rung des Inhalts (ist), welcher sich durch die künstlerische Darstel-
lung ins Äußere zu verkehren hat»14. Wir kennen diese «Situation»
bereits und verstehen jetzt auch ihre Funktion. Vor dem Kaiser im
allein, und nicht einmal vorwiegend, vom Standpunkt der christlichen Heils-
geschichte und der Kreuzzugsideologie aus betrachtet, sondern sie in den Zu-
sammenhang einer idealen «Projektgemeinschaft» stellt, ist die u. E. über-
zeugende These von Μ. Waltz, Rolandslied, Wilhelmslied, Alexiuslied. Zur
Struktur und geschichtlichen Bedeutung, Heidelberg 1965 (Studia Romanica,
9. Heft). Diese «Projektgemeinschaft» bestimmt sich als «die wahre im Gegen-
satz zur wirklichen», zugänglich insofern, als die wirkliche Gesellschaft die
Möglichkeiten für sie bereithält. Die vergangene Welt des Karlskönigstums
ist dann «zugleich als ein Projekt in den gegenwärtigen Zustand hineingelegt»
(Waltz S. 19). In diesem Sinne ist das Rolandslied ein politisches Gedicht
(S. 80).
12 A. a. 0., S. 220.
13 A. a. O., S. 224.
14 A. a. O., S. 220.
Erich Köhler
darf es - wiederum nach Hegel - einer Idealstörung in Gestalt einer
«Entzweiung» durch eine «Kollision, die zu Reaktionen führt und in
dieser Rücksicht wie den Ausgangspunkt so auch den Übergang zur
eigentlichen Handlung bildet»12. Die Kollision hat «ihren Grund in
einer FerZeizwng, welche nicht als Verletzung bleiben kann, sondern
aufgehoben werden muß; sie ist eine Veränderung des ohne sie har-
monischen Zustands, welche selbst wieder zu verändern ist»13.
Vielleicht ist bereits deutlich geworden, wie sehr die Hegelschen
Bestimmungen der epischen Grundstruktur dem Rolandslied an-
gemessen sind, fast so als hätte Hegel sie an ihm und nicht am an-
tiken Epos gewonnen. Die «Verletzung» des in den zitierten beiden
Laissen noch unproblematisch dargestellten Ideals, die zuerst im
Opfertod des an der «Verletzung» mitschuldigen Roland und
schließlich in der Bestrafung Ganelons wieder aufgehoben wird, er-
folgt in der Ratsszene aufgrund einer Kollision, die ihrerseits nicht
von einem kontingenten Ereignis willkürlich gestiftet, sondern allen-
falls von ihm ausgelöst wird. Ihr Minimum an Willkür und ihr
Maximum an souveräner dichterischer Gestaltung zu zeigen ist un-
sere nächste Aufgabe.
Noch einmal wollen wir uns auf Hegel berufen. Soll die Kollision
wirklich das Wesentliche zur Anschauung bringen, so muß der Dich-
ter eine «Situation» schaffen, in welcher der allgemeine Zustand
»zur Bestimmtheit partikularisiert erscheint, und in dieser Bestimmt-
heit andererseits zugleich das Anregende für die bestimmte Äuße-
rung des Inhalts (ist), welcher sich durch die künstlerische Darstel-
lung ins Äußere zu verkehren hat»14. Wir kennen diese «Situation»
bereits und verstehen jetzt auch ihre Funktion. Vor dem Kaiser im
allein, und nicht einmal vorwiegend, vom Standpunkt der christlichen Heils-
geschichte und der Kreuzzugsideologie aus betrachtet, sondern sie in den Zu-
sammenhang einer idealen «Projektgemeinschaft» stellt, ist die u. E. über-
zeugende These von Μ. Waltz, Rolandslied, Wilhelmslied, Alexiuslied. Zur
Struktur und geschichtlichen Bedeutung, Heidelberg 1965 (Studia Romanica,
9. Heft). Diese «Projektgemeinschaft» bestimmt sich als «die wahre im Gegen-
satz zur wirklichen», zugänglich insofern, als die wirkliche Gesellschaft die
Möglichkeiten für sie bereithält. Die vergangene Welt des Karlskönigstums
ist dann «zugleich als ein Projekt in den gegenwärtigen Zustand hineingelegt»
(Waltz S. 19). In diesem Sinne ist das Rolandslied ein politisches Gedicht
(S. 80).
12 A. a. 0., S. 220.
13 A. a. O., S. 224.
14 A. a. O., S. 220.