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Köhler, Erich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1968, 4. Abhandlung): "Conseil des barons" und "jugement des barons": epische Fatalität und Feudalrecht im altfranzösischen Rolandslied ; vorgetragen am 29. 6. 1968 — Heidelberg, 1968

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https://doi.org/10.11588/diglit.44217#0022
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Erich Köhler

lig't, schweigt der Kaiser. Schweigt er, weil die Zustimmung der an-
wesenden Vasallen ihn verbindlich festlegt, oder weil er die Wahl
begrüßt? Sicherlich ist beides zu bejahen, denn bei der späteren Wahl
Rolands zum Führer der Nachhut wird er sich fügen müssen und
trotzdem, ohnmächtig, dagegen aufbegehren. Noch eine weitere wich-
tige Frage stellt sich hier: kann der Kaiser freiwillige Meldun-
gen zurückweisen, wie er es ja bis dahin getan hat, oder annehmen,
ist er also hier entscheidungsfrei im Rahmen eines begrenzten Veto-
rechts, und muß er dagegen Vorschläge, die durch Andere ge-
macht werden, dem Beschluß der Versammlung überlassen? Der
bisherige Verlauf des cunseill und die kommende Entscheidung über
die Nachhut erfordern zwingend, diese doppelte Frage zu bejahen.
Allerdings: wenn Karl, wie wir gesehen haben, die Wahl ab-
sichtlich auf den kleinen Kreis der Barone seiner Mark gelenkt hat
und zur Wahl Ganelons schweigt, während er sich später gegen die
Wahl Rolands sträubt, dann bekundet diese Haltung, daß die Benen-
nung Ganelons durchaus seinen Absichten gemäß ist, und daß ihm an
der Person Ganelons, obwohl dieser sein Schwager ist, nicht viel liegt.
Während Karl sich hier formal juristisch auf die Regeln des cunseill
berufen kann und dies nach Ganelons Hinweis auf seine Verwandt-
schaft mit dem Kaiser, auf die Sorge um seinen Sohn und seinen Be-
sitz (v. 31 Off.) auch tut - «Oit l’avez: sur vos le jugent Franc» (v. 321)
- freilich verbunden mit einem demütigenden Verweis («Trop avez
tendre coer», v. 317), kann Roland sich auf jene Regeln nicht stützen
und versucht es auch nicht. Kein Zweifel, daß er in voller Kenntnis
der Gefährlichkeit der Gesandtschaft - er selbst hatte ja an die Er-
mordung Basans und Basilies durch den Heidenkönig erinnert — und
in verächtlicher Anspielung auf Ganelons Rat, in der Frage Frieden
oder Krieg sich auf die Klugen und Besonnenen zu verlassen41, sei-
41 Die Korrektur, die Μ. Delbouille (Sur la genese de la Chanson de Roland.
Travaux recents. Propositions nouvelles, Bruxelles 1954, S. 5) für die vv. 277ff..
fo dist Rollanz: «Qo ert Guenes, mis parrastre».
Dient Frangeis: «Car il le poet ben faire;
Se lui lessez, ni trametrez plus saive».
vorschlägt, erscheint uns logisch und notwendig. Die vv. 743f.:
Guenes respunt: «Rollant, eist miens fillastre;
N’avez baron de si grant vasselage».
verlangen in anbetracht der ausgeprägten parallelistischen Komposition des
Dichters, daß die Anspielung auf die «Weisheit» Ganelons gemäß der Version
der Hs. V4 in den Mund Rolands gelegt wird. Diese Auffassung auch bei R.
Lejeune, Le peche de Charlemagne et la «Chanson de Roland», S. 356.
 
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