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Köhler, Erich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1968, 4. Abhandlung): "Conseil des barons" und "jugement des barons": epische Fatalität und Feudalrecht im altfranzösischen Rolandslied ; vorgetragen am 29. 6. 1968 — Heidelberg, 1968

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https://doi.org/10.11588/diglit.44217#0033
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«Conseil des barons» und «jugement des barons» 31
ohne seine Kenntnis ebenso unmöglich wie seine vorherige Ernen-
nung zum Gesandten. Das gesprochene Wort ist, sobald die Ver-
sammlung es gebilligt hat, rechtsgültig, ist nicht nur Beschluß, son-
dern «Urteil». Wer es im richtigen Augenblick einsetzt, hat nicht
bloß vorgeschlagen, sondern bereits auch «geurteilt» -jugiet.
Dies gilt, wie wir gesehen haben, eindeutig für die Szenen des
Rolandslieds, die wir analysierten. Sie haben somit ihre genaue Ent-
sprechung im mittelalterlichen Gerichtsverfahren. Ist es indessen,
so müssen wir jetzt fragen, wirklich so, daß ein Kriegsrat, oder eine
königliche Ratsversammlung schlechthin, sich der Prozedur eines ge-
richtlichen Verfahrens bedient? Ist der «Beschluß» einer Versamm-
lung notwendigerweise ein «Urteil», ein jugement, dem sich der
König beugen muß, wie in unserem Falle? Weshalb tritt uns der
conseil des barons als ein jugement des barons vor Augen?
Das mehr als zweihundertjährige Fehlen von Rechtsquellen zwi-
schen den letzten karolingischen Kapitularien und den ersten Nie-
derschriften der Coutumes erschwert eine Beantwortung dieser Fra-
ge69. Abermals müssen wir uns auf das stützen, was Historiker und
Rechtshistoriker ermittelt haben, nicht zuletzt aus literarischen Quel-
len, die wir erst deuten wollen. Bei aller gebotenen Vorsicht darf
Folgendes als gesichert festgehalten werden:
Zwar hat sich das Recht, das die Vornehmen, die Grafen und
Präfekten, auf Zustimmung zu den Handlungen des Königs schon
in fränkischer Zeit besaßen70 in der feudalen Rechtstheorie zu der
Norm verfestigt, daß wichtige Maßnahmen des Herrn des Consensus
aller am Hof versammelten Vasallen, der curia regis, bedürfen71,
und es hat dieses Vasallenrecht sich gerade unter den Bedingungen
des Kreuzzugs - wie besonders die Assises de Jerusalem bestätigen
- kräftig durchgesetzt72. Die Anwendung dieses Rechts aber, die sich
als gravierende Einschränkung der königlichen Gewalt auswirken
mußte73, unterlag den jeweiligen tatsächlichen Machtverhältnis-
roles necessaires, qui enserraient la procedure dans un corset de formalisme».
Vgl. oben S. 24 und H. Brunners Anm. 50) zitierte Arbeit.
09 Vgl. Bloch, a. a. 0., S. 174; Ganshof, a. a. O., S. 69.
70 Siehe E. Mayer, Deutsche und französische Verfassungsgeschichte, II, S. 134ff.
71 Siehe R. W. Carlyle and A. J. Carlyle, A History of Mediaeval Political Theory
in the West, Edinburgh-London 19503, III, S. 52ff.
72 Siehe H. Mitteis, Lehnrecht und Staatsgewalt, S. 250f.
73 Schon H. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, II, S. 181, konstatiert: «(Es) meh-
ren sich seit Ludwig I. die Anzeichen, daß die Sitte, die Großen zum Beirate zu
 
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