Metadaten

Köhler, Erich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1968, 4. Abhandlung): "Conseil des barons" und "jugement des barons": epische Fatalität und Feudalrecht im altfranzösischen Rolandslied ; vorgetragen am 29. 6. 1968 — Heidelberg, 1968

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44217#0042
License: In Copyright
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
40

Erich Köhler

maisnee, deren Kern sie bilden, bestehend aus den getreuen Francs
de France, nichts anderes als die Ritterschaft jenes franzischen Adels,
aus welchem die Könige in dieser Zeit das Instrument ihres politi-
schen Wiederaufstiegs formten.
Diese Schicht zu privilegieren war politisches Gebot. Ihren Dienst
über den vorhandenen Besitz hinaus mit Lehen zu honorieren, war
ausgeschlossen oder allenfalls bei Einziehung eines verfallenen Le-
hens bzw. bei Depossedierung eines renitenten Vasallen möglich.
Politischer Einfluß, Ehre und Rang waren, wo nicht Lehensbesitz
sie begründeten, nur in dem Maße zugänglich, als der König sie
mittels echter politischer Funktion zu vergeben vermochte, und d. h.
abhängig vom Grad der königlichen Macht selbst. Der Interessen-
gegensatz zwischen dieser zwangsläufig der königlichen Machtpoli-
tik verdingten Gruppe und den Großvasallen liegt auf der Hand,
die Gründe für Ganelons Verdacht, Roland trachte, der königlichen
Billigung sicher, nach seinem Lehensbesitz, ebenso. Desgleichen aber
wird nun der Ursprung der Gesinnungen und ihres Widerspruchs
einsichtig. Die Auflösung der fidelitas infolge der Verdinglichung
der Vasallitätsbeziehungen durch die Erblichkeit der Lehen wird
zum Rechtsgrund der Großvasallen, den Ganelon für sich bean-
sprucht. Das persönliche Treueverhältnis, das einst die Beziehung
zwischen Herr und Vasall bestimmte und vom Herrn durch Ver-
gabe von Amt und Lehen honoriert wurde, ist jetzt allein dort mög-
lich, aber auch notwendig, wo kein gesicherter Lehensbesitz Auto-
nomiegelüste hervorrief, sondern Amt, Funktion, Rang und Unter-
halt allein von der Dienstbereitschaft für den Herrn abhingen. Die
Treue, die Roland in pathetischer Situation preist90, hat hier ihren
Ursprung, und vermag auf eine vom Berufskriegertum zur Ritter-
schaft sich wandelnde, nicht durch Lehensbesitz gebundene Schicht
eine ideologische Faszination auszuüben91. Sie tritt als höchster sitt-

90 «Ben devuns ci estre pur nostre fei:
Pur sun seignor deit hom susfrir destreiz
Et endurer et granz chalz et granz freiz.
Si’n deit hom perdre et del quir et del peil.
Or guart chascuns que granz colps i empleit.» (v. 1009ff.)
91 Auch hier befinden wir uns in Übereinstimmung mit Μ. Waltz, wenn er (a. a. 0.,
S. 102) sagt: «Das Treueverhältnis als konkrete Form gemeinschaftlichen Le-
bens muß sich zur Zeit der Abfassung [des Rolandslieds] in Auflösung be-
funden haben; sonst hätte der Dichter nicht die Treue aus allen realen Bezügen
lösen und auf eine ideale Gemeinschaft beziehen können». Eine Einschränkung
glauben wir nur insofern machen zu müssen, als uns die Herauslösung der
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften