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Flashar, Hellmut; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1969, 1. Abhandlung): Der Epitaphios des Perikles: seine Funktion im Geschichtswerk d. Thukydides — Heidelberg, 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.44304#0016
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Hellmut Flashar

Wie immer dieser vielbeliandelte Grundsatz zu verstehen ist2, soviel
gilt als sicher: Formulierung und Stilisierung der Reden stammen
von Thukydides. Wie stark sein Anteil auch an der gedanklichen
Substanz der Reden, deren Aufbau und Gedankenfolge ist, läßt sich
schwerer entscheiden und mag von Fall zu Fall auch differieren. Aber
die mannigfaltigen motivischen Bezüge zwischen den verschiedenen
Reden untereinander und zu den übrigen Teilen des Werkes, die die
neuere Forschung in zunehmendem Maße herausgearbeitet hat3 und
die dem thukydideischen Werk im ganzen eine große innere Ge-
schlossenheit geben, sprechen dafür, den Anteil des Thukydides hoch
zu veranschlagen, der bis zur Erfindung ganzer Reden oder der Kon-
zentration mehrerer Reden in eine gehen kann.
Wir werden also auch für den Epitaphios zu erwarten haben, daß
hier im ganzen nicht die dem Historiker eben noch mögliche An-
näherung an die von Perikies tatsächlich 431 vor den Athenern ge-
haltene Rede - die Thukydides im Unterschied zu vielen anderen
von ihm mitgeteilten Reden immerhin selbst gehört haben kann -
im Sinne einer möglichst getreuen Wiedergabe vorliegt, sondern daß
Thukydides in seiner Sprache und aus seiner Sicht die Politik und
die Denkweise des Perikies zur Zeit des eben begonnenen Krieges
in dem durch den Anlaß der Rede gegebenen Rahmen durch den
Mund des Perikies zur Darstellung bringt. Es ist dabei durchaus
möglich, daß einzelne Gedanken und Wendungen, die Perikies tat-
sächlich in dem Epitaphios von 431 gebraucht hat, in die von Thuky-
dides gestaltete Rede eingeflossen sind - obwohl sich kaum etwas
Sicheres nachweisen läßt4 - aber das ist nicht von entscheidender
Bedeutung. Jedenfalls erschließt sich der Sinn der Rede erst, wenn
2 G. Wille, Zu Stil und Methode des Thukydides, in: Synusia, Festgabe für W.
Schadewaldt, Pfullingen 1965, 53ff. ( = Thukydides, Wege der Forschung,
Darmstadt 1968, 683ff.) hat zuletzt die Weite und Elastizität in der Formulie-
rung des Methodensatzes herausgestellt, vgl. bes. 95: „Es spricht in ihnen (den
Reden) weder der ganze Thukydides noch der betreffende Redner, sondern ein
Mittleres zwischen beiden.“
3 Das hat bereits E. Schwartz, Das Geschichtswerk des Thukydides, Bonn 1919 an
mehreren Beispielen m. E. überzeugend nachgewiesen, für die Stellung des
Epitaphios vgl. 146f. Vgl. auch die ausgezeichneten Bemerkungen von H. Gun-
dert, Athen und Sparta in den Reden des Thukydides, Die Antike 16, 1940,
98ff. (= Thuk., Wege d. Forschg. 114ff.) und H. Strasburger, Thukydides und
die politische Selbstdarstellung der Athener, Hermes 86, 1958, 17ff. (= Thuk.,
Wege d. Forschg. 498ff.).
4 Zu 37, 3 (Erwähnung der ungeschriebenen Gesetze) pflegt ein bei Ps.-Lysias VI
10 erhaltenes Dictum des Perikies verglichen zu werden (vgl. dazu Anm. 32).
 
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