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Flashar, Hellmut; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1969, 1. Abhandlung): Der Epitaphios des Perikles: seine Funktion im Geschichtswerk d. Thukydides — Heidelberg, 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.44304#0027
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Der Epitaphios des Perikies

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von Aussage und Realität zu achten, das sich in einer ganzen Reihe
von Aussagen nicht zur Deckung bringen läßt. Gewiß findet sich
darunter auch bloße in der Gattung des Epitaphios begründete
idealisierende Schönfärberei, aber damit ist doch das Wesentliche
noch nicht geklärt. Vielmehr ist davon auszugehen, daß Thukydides
ja nach dem Zusammenbruch der athenischen Macht den Perikies die
Sicherung der Autarkie der Stadt für Krieg und Frieden als die we-
sentliche Leistung seiner Generation bezeichnen läßt. Die Stadt hat
sich nun aber im Verlaufe des Krieges gerade nicht als autark erwie-
sen, ihre scheinbar unerschütterliche Größe und Macht ist zerbrochen,
- also ist sie auch am Beginn des Krieges nicht „für Krieg und Frieden
in höchstem Maße autark“ (36, 3) gewesen. Die ganze Darstellung
der die Größe der Stadt angeblich so sicher garantierenden Lebens-
art tritt auf diese Weise in eine zuweilen geradezu gespenstische
Spannung zur Wirklichkeit, mögen auch die Einzelzüge sehr deutlich
der Situation entsprechen, in der sich die Stadt auf dem Höhepunkt
ihrer Macht tatsächlich befand.
Perikies beginnt seine Darstellung mit dem zur Typik der enko-
miastischen Rede gehörenden Hinweis27 auf die Eigenwüchsigkeit
und Stabilität der Verfassung, ein Hinweis, der für das Jahr 431
ebenso sinnvoll, wie er aus der Sicht des Thukydides von 404 sinnlos
ist. Der folgende, schwierige Satz aber beschönigt bereits bis zu einem
gewissen Grade die politische Wirklichkeit des Jahres 431. Denn
wenn es der Sinn des Satzes ist, daß die Demokratie als Gleichheit vor
dem Gesetz doch einen Sinn für aperr] hat, den sie in Ehre und Wert-
schätzung bekundet, so wird man angesichts der Art, wie diese Demo-
kratie selbst mit Perikies verfuhr (II 65, 2—4), an der Allgemeingül-
tigkeit dieses Satzes zweifeln, ganz zu schweigen davon, daß sein
Sinn sich nach dem Tode des Perikies geradezu ins Gegenteil ver-
kehrte.
In der Interpretation des schwierigen Satzes weiche ich sowohl von Kakridis
24-28 als auch von H. Vretska, Perikies und die Herrschaft des Würdigsten, Rhein.
Museum 109, 1966, 108ff. ab, obwohl Vretska den richtigen Weg gewiesen hat.
Übereinstimmung herrscht in dem Grundgedanken: Die Staatsform ist dem Namen
nach eine Demokratie (ÖTipoxparia xExXr]Tai), - in Wirklichkeit nicht (allein) das,
was das Wort Demokratie besagt. Kakridis faßt nun örmoxparia zu Unrecht in
dem engeren Sinne „Herrschaft des Volkes“ und sieht als Gegenbegriff den der
Isonomie, was zu einer schiefen Interpretation des ganzen Satzes führt. Gomme
und Vretska weisen mit Recht darauf hin, daß Isonomie der ältere Ausdruck für
Demokratie ist (Herodot III 80, 6) und auch für Thukydides das besondere Kenn-
27 Vgl. Platon, Menex. 238 C; Isokr. 4, 39 und dazu Kakridis 23.

2 Flashar, Der Epitaphios des Perikies
 
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