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Flashar, Hellmut; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1969, 1. Abhandlung): Der Epitaphios des Perikles: seine Funktion im Geschichtswerk d. Thukydides — Heidelberg, 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.44304#0029
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Der Epitaphios des Perikies

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Treiben frei von Verdächtigungen gegeneinander, mit der Wirklich-
keit schwer zu vereinbaren. Nicht nur, daß ständige Verdächtigungen
und Denunziationen nach der Auffassung des Thukydides den An-
fang der für Athen unheilvollen Entwicklung nach dem Tode des
Perikies bedeuteten (II 65, 11), auch für die perikleische Ära selbst
ist diese Behauptung alles andere als zutreffend, wenn man nur an
die Angriffe und innenpolitische Opposition gegen Perikies und seine
Umgebung denkt, ganz zu schweigen von dem geradezu für die grie-
chische Demokratie bezeichnenden, von den Oligarchien bekämpften
Sykophantentum, das sich gerade in den Jahren vor dem peloponne-
sischen Krieg auszubreiten begonnen hat30. Hier versagt ganz offen-
sichtlich die beliebte Deutung, Thukydides habe die perikleische De-
mokratie angesichts der zerrütteten Verhältnisse nach 404 seinen
Bürgern als Ideal empfehlen wollen.
Die Achtung vor dem geschriebenen und ungeschriebenen Recht,
insbesondere der Schutz, den Athen den Entrechteten gewährt (37,3),
gehört zu dem traditionellen Repertoire der enkomiastischen Rede.
Daß aber die attische Philanthropie, die schon in mythischer Zeit be-
gründet und in der solonischen Verfassung verankert wurde, beson-
ders unter Perikies sich bewährt habe, wird man nicht ohne Ein-
schränkung behaupten können. Und daß die Athener aus innerer
Scheu Verstöße gegen Recht und Billigkeit vermieden hätten, ist
jedenfalls an dieser Stelle ein weitgehend konventionelles, mit der
Wirklichkeit nicht übereinstimmendes Motiv31. Interessant und für
die Art des Perikies aufschlußreich ist die Tatsache, daß die „unge-
30 Die erste Anspielung auf das Sykophantentum bei Kratinos, Frgm. 69 K. aus
der Komödie Euneidai (vor 431, vgl. P. Geißler, Chronologie der altattischen
Komödie, Phil. Unters. 30, 1925, 24). Vgl. K. Latte, RE IV A 1, 1028ff. Tref-
fend bemerkt H. Strasburger, Der Einzelne und die Gemeinschaft im Denken
der Griechen, Hist. Zeitschr. 177, 1954, 246: „Die exzessive Korruption des staat-
lichen und privaten Lebens, die wir uns aus Thukydides selbst, aus der Ko-
mödie, aus den attischen Prozeßreden und aus den Gesprächen des Sokrates bei
Xenophon und Platon noch sehr verdeutlichen können, lassen es doch fraglich
erscheinen, ob eine Läuterung dieses Krisenprozesses in der historischen Wirk-
lichkeit vernünftigerweise erhofft werden durfte.“ Selbst E. Bayer, Thukydides
und Perikies, Würzburger Jahrb. 3, 1948, 49 (= Thuk., Wege d. Forschg. 249)
gibt zu, daß „diese Darstellung des Thukydides der historischen Situation nicht
gerecht wird“, obwohl B. sonst urteilt: „Wo Perikies spricht, ist abschließende
Gewißheit“ (a. 0. 203).
31 Vgl. Kakrides 33 mit Belegen aus Epitaphien und panegyrischen Reden. Die
Beziehungen zu den politischen Tragödien des Euripides, bes. den Hiketiden,
hat J. de Romilly, a. 0. 133f. untersucht. Vgl. auch Zuntz, The Political Plays

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