Der Epitaphios des Perikies
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gewinnen, wird ja damit begründet, daß so der Freund abhängig
und im Bewußtsein einer abzuleistenden Verpflichtung „stumpfer“
(apßÄüTSQog) wird. Das ist kein selbstloses Geben, sondern kühle Be-
rechnung zur Sicherung (ßeßcaorEQog!) der Herrschaft. Darin ist in
merkwürdig abgehacktem Stil ohne innere logische Verbindung jenes
athenische Propagandamotiv von der selbstlosen Hilfe der Athener
anderen gegenüber eingefügt47, nicht weil Thukydides ihm erlegen
wäre, sondern weil seine Verwendung nach der Meinung des Thu-
kydides zu den ideologischen Mitteln des Perikies, wenigstens im Zu-
sammenhang eines Epitaphios, gehört. Den Schlüssel zum Verständ-
nis des Epitaphios im ganzen bildet das Kap. 41. Denn es ist nicht nur
eine Zusammenfassung (^uveXcbv . . .) aller Bestimmungen über die
Athener und ihre Polis in der entscheidenden Aussage, Athen sei die
Bildungsstätte von ganz Hellas48 und hier könne sich der einzelne in
den meisten Lebensbereichen in höchster Gewandtheit als auf sich
selbst gestellte Persönlichkeit (tö ocopa avraQxeg) erweisen, sondern
es werden Zeugnisse und Beweise dafür gegeben, daß die geschil-
derte Wesensart der Athener nicht ein Geprahle von Worten, son-
dern Wahrheit von Fakten sei (41, 2). Hier wird deutlich, daß die
Rede des Perikies nicht ein Idealbild geben will, sondern auf eine
Wirklichkeit zielt, die durch Beweise glaubhaft erscheinen soll. Das
klingt nun ganz thukydideisch, und in der Tat prägt sich in dem Hin-
weis auf sichtbare Zeugnisse und Beweise und in der Art, wie der
Preis des epischen Dichters beiseite geschoben wird (40, 4), die Denk-
und Argumentationsweise des Thukydides deutlich aus49. Doch wird
man auch hieraus zunächst nicht mehr schließen dürfen, als daß Thu-
kydides dem Perikies eine Rede in den Mund legt, die mit methodo-
logischen Überlegungen des Historikers operiert, nicht aber, daß die
inhaltliche Aussage sich mit der Meinung des Historikers deshalb
auch decken müsse.
Diese Frage wird sich erst beantworten lassen, wenn man näher
betrachtet, worin denn diese Zeugnisse und Beweise für die vorbild-
47 Mit Recht bemerkt Strasburger, a. 0. 31 (= Thuk., Wege d. Forschg. 517),
Thukydides habe hier „absichtlich einige unheimliche Trümmer der von ihm
zerstörten Propagandaschicht lose im Raum stehen lassen.“ Zu dvrocpe'Acov . . .
vgl. die umgekehrte Argumentation der Spartaner IV 19, 3.
48 Daß in diesem berühmten Wort nicht das Interesse an geistigen Werten für sich
im Vordergrund steht, sondern das Bestreben, einen gleichartigen Anspruch
Spartas zu bekämpfen, zeigt Strasburger, Der Einzelne und die Gemeinschaft . . .
a. 0.245. 49 I 10, 3; 21, 1; 23, 4.
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gewinnen, wird ja damit begründet, daß so der Freund abhängig
und im Bewußtsein einer abzuleistenden Verpflichtung „stumpfer“
(apßÄüTSQog) wird. Das ist kein selbstloses Geben, sondern kühle Be-
rechnung zur Sicherung (ßeßcaorEQog!) der Herrschaft. Darin ist in
merkwürdig abgehacktem Stil ohne innere logische Verbindung jenes
athenische Propagandamotiv von der selbstlosen Hilfe der Athener
anderen gegenüber eingefügt47, nicht weil Thukydides ihm erlegen
wäre, sondern weil seine Verwendung nach der Meinung des Thu-
kydides zu den ideologischen Mitteln des Perikies, wenigstens im Zu-
sammenhang eines Epitaphios, gehört. Den Schlüssel zum Verständ-
nis des Epitaphios im ganzen bildet das Kap. 41. Denn es ist nicht nur
eine Zusammenfassung (^uveXcbv . . .) aller Bestimmungen über die
Athener und ihre Polis in der entscheidenden Aussage, Athen sei die
Bildungsstätte von ganz Hellas48 und hier könne sich der einzelne in
den meisten Lebensbereichen in höchster Gewandtheit als auf sich
selbst gestellte Persönlichkeit (tö ocopa avraQxeg) erweisen, sondern
es werden Zeugnisse und Beweise dafür gegeben, daß die geschil-
derte Wesensart der Athener nicht ein Geprahle von Worten, son-
dern Wahrheit von Fakten sei (41, 2). Hier wird deutlich, daß die
Rede des Perikies nicht ein Idealbild geben will, sondern auf eine
Wirklichkeit zielt, die durch Beweise glaubhaft erscheinen soll. Das
klingt nun ganz thukydideisch, und in der Tat prägt sich in dem Hin-
weis auf sichtbare Zeugnisse und Beweise und in der Art, wie der
Preis des epischen Dichters beiseite geschoben wird (40, 4), die Denk-
und Argumentationsweise des Thukydides deutlich aus49. Doch wird
man auch hieraus zunächst nicht mehr schließen dürfen, als daß Thu-
kydides dem Perikies eine Rede in den Mund legt, die mit methodo-
logischen Überlegungen des Historikers operiert, nicht aber, daß die
inhaltliche Aussage sich mit der Meinung des Historikers deshalb
auch decken müsse.
Diese Frage wird sich erst beantworten lassen, wenn man näher
betrachtet, worin denn diese Zeugnisse und Beweise für die vorbild-
47 Mit Recht bemerkt Strasburger, a. 0. 31 (= Thuk., Wege d. Forschg. 517),
Thukydides habe hier „absichtlich einige unheimliche Trümmer der von ihm
zerstörten Propagandaschicht lose im Raum stehen lassen.“ Zu dvrocpe'Acov . . .
vgl. die umgekehrte Argumentation der Spartaner IV 19, 3.
48 Daß in diesem berühmten Wort nicht das Interesse an geistigen Werten für sich
im Vordergrund steht, sondern das Bestreben, einen gleichartigen Anspruch
Spartas zu bekämpfen, zeigt Strasburger, Der Einzelne und die Gemeinschaft . . .
a. 0.245. 49 I 10, 3; 21, 1; 23, 4.