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Flashar, Hellmut; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1969, 1. Abhandlung): Der Epitaphios des Perikles: seine Funktion im Geschichtswerk d. Thukydides — Heidelberg, 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.44304#0037
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Der Epitaphios des Perikies

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Machtdenken, das zugleich in engster Verbindung mit dem hier ent-
wickelten Bild vom athenischen Menschen steht, gipfelt doch die Dar-
stellung der athenischen Wesensart gerade in diesem Abschnitt, in
dem der Stil der Rede - in seltsamem Kontrast zu der programma-
tischen Ankündigung, Beweise geben zu wollen - sich von der sach-
lichen Analyse entfernt und den Charakter eines Hymnos, ja einer
Verzauberung annimmt, wie Kakridis mit Recht hervorhebt53. So
kann Thukydides dem Perikies das Wort in den Mund legen, er habe
auf die Stadt einen Hymnos gesungen (vpvT](ya, 42, 2), wie es sonst
nur die Dichter tun.
Diese merkwürdige Art der Darstellung ist in mehrfacher Hin-
sicht aufschlußreich. Zunächst sind die Dinge hier deutlich aus der
Perspektive von 431 gesehen. Perikies legt dar, daß Athen dank
seiner geistigen Überlegenheit zu einer derartigen Machtfülle hat
kommen können, wie sie am Beginn des Krieges ja eine unbezwei-
felbare Realität war. Aber diese Macht war am Ende des Krieges zer-
brochen, und wir haben uns zu fragen, was dieser Abschnitt bedeutet,
wenn Thukydides die Rede, wie andere Überlegungen nahelegen54,
angesiedelt“ haben (Regenbogen), ist mir nicht klar. Wie soll man ewige
Denkmäler von Niederlagen mit ansiedeln? Ist an Denkmäler mit Inschriften
der Gefallenen gedacht (Gomme I 311)? Liest man den Satz aus der Sicht von
404, würde sich wohl eine Erinnerung an die sizilische Expedition einstel-
len und dem Satz einen stark ironischen Ton geben. Die zweite Möglichkeit
wäre: xaxoöv bezieht sich auf Schlimmes, das die erobernden Athener den ur-
sprünglichen Landesbewohnern angetan haben, etwa bei der Errichtung von
Kleruchien (vgl. z. B. I 114). Diese Auffassung vertritt Gassen und offenbar
Schadewaldt, der übersetzt, die Athener haben „Male des Bösen wie Guten
aufgerichtet“ (Hellas und Hesperien 421). Dann wäre xaxonaÜEi (42, 3) wieder-
aufgenommen, und der stolze imperiale Charakter der erobernden Macht käme
auf dem Höhepunkt der Rede besser zum Ausdruck. Weil dem Satz so ein
präziserer Sinn abzugewinnen ist, neige ich zu dieser Auffassung. In xaxööv
verrät sich dann aber die Handschrift des Thukydides, und man kann be-
zweifeln, ob Perikies in der wirklichen Rede von 431 diesen Gedanken ausge-
sprochen hätte.
53 Kakridis, a. 0. 65: „Unter dem Bann dieser alogischen Sprachelemente be-
kommen wir keine Zeit zu überlegen, ob solche Behauptungen sich mit dem
vertragen, was Thukydides selbst über das Verhältnis Athens zu seinen Geg-
nern und Untertanen sonst schreibt. Hier werden wir vom Redner nicht über-
zeugt, sondern verzaubert.“ Eine Verzauberung liegt gewiß vor, aber wir soll-
ten uns nicht mitverzaubern lassen.
54 Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei betont, daß m. E. nicht dieser Ab-
schnitt die Spätdatierung des Epitaphios erzwingt, sondern daß diese aus
anderen Gründen (vgl. S. 7) naheliegt und daher auch dieser Abschnitt ent-
 
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