Der Epitaphios des Perikies 31
Ironie, so nach dem Zusammenbruch dieser Macht zu schreiben61!
Dementsprechend klingt denn auch der folgende, stark von den tra-
ditionellen Epitaphienmotiven her geprägte Preis des Heldentums
hohl - wie ein vaticinium ex eventu mit umgekehrtem Vorzeichen -,
weil er ja von dem unmittelbaren Eindruck der Größe der Stadt ab-
hängig gemacht wird (örav üptv psyaA/r] eivai, Evfhjpo'upEvovc;
ort . . Dabei wird unter Größe stets äußere Macht und unter Frei-
heit Freiheit für die Aufopferung zugunsten der Polis verstanden.
So zeigt sich im Schlußteil des Epitaphios noch deutlicher als in dem
berühmten Mittelstück, in wie starkem Maß der einzelne Mensch in
seinen Wertungen von dem Machtdenken, von der Brauchbarkeit
für die Staatsinteressen her gesehen wird.
Abschließend gilt es festzuhalten, daß in der ganzen Rede jeder
Bezug zum göttlichen, religiösen Bereich fehlt, obwohl vom Inhalt
her durchaus Anlaß dazu gegeben wäre, etwa bei der Erwähnung der
Agone und Opfer (38, 1). So ist der Mensch und die Polis ganz auf
sich selbst gestellt, das Leben des Menschen wird vom rein mensch-
lichen Aspekt her gesehen. Geradezu programmatisch wird dies aus-
gedrückt in der Formulierung, der athenische Mensch erweise sich als
autarke Person (ro ocöpcc aurapneg, 42, 1), in ganz betontem Gegensatz
zu der älteren Auffassung Herodots (I 32, 8), wonach der Mensch
nicht autark ist, Autarkie vielmehr die Grenzen des Menschlichen
übersteigt, nur der Gottheit zukommt, während der Mensch seine
Nichtigkeit und Abhängigkeit erkennen muß. Zur Erklärung dieses
Befundes im Epitaphios verweist man62 meist ganz allgemein auf die
im thukydideischen Geschichtsdenken wirksame sophistische Aufklä-
rung und speziell auf das doch ziemlich törichte Wort der Marcelli-
nus-vita (22), Thukydides sei a$£0<; f^epa. Hier ist nun aber genauer
zu differenzieren zwischen der Religiosität (bzw. deren Fehlen) a)
bei dem historischen Perikies, b) bei dem thukydideischen Perikies,
c) bei Thukydides.
a) Für den historischen Perikies sind gewisse religiöse Züge durch-
aus greifbar. Auszugehen ist von dem einzigen sicheren Zeugnis, das
sich in der Samischen Leichenrede findet, die Gefallenen seien un-
sterblich geworden wie die Götter, denn die Götter sehen wir nicht,
wir schließen auf ihre Unsterblichkeit nur durch die Ehren, die sie ge-
61 Der folgende Hinweis auf ein Mißlingen einer Unternehmung (43, 1) läßt sich
kaum als Hindeutung des Thukydides auf das Scheitern des ganzen Krieges
verstehen. Die Beziehung zu I 70, 7 ist offenkundig.
62 Z. B. Kakridis 37.
Ironie, so nach dem Zusammenbruch dieser Macht zu schreiben61!
Dementsprechend klingt denn auch der folgende, stark von den tra-
ditionellen Epitaphienmotiven her geprägte Preis des Heldentums
hohl - wie ein vaticinium ex eventu mit umgekehrtem Vorzeichen -,
weil er ja von dem unmittelbaren Eindruck der Größe der Stadt ab-
hängig gemacht wird (örav üptv psyaA/r] eivai, Evfhjpo'upEvovc;
ort . . Dabei wird unter Größe stets äußere Macht und unter Frei-
heit Freiheit für die Aufopferung zugunsten der Polis verstanden.
So zeigt sich im Schlußteil des Epitaphios noch deutlicher als in dem
berühmten Mittelstück, in wie starkem Maß der einzelne Mensch in
seinen Wertungen von dem Machtdenken, von der Brauchbarkeit
für die Staatsinteressen her gesehen wird.
Abschließend gilt es festzuhalten, daß in der ganzen Rede jeder
Bezug zum göttlichen, religiösen Bereich fehlt, obwohl vom Inhalt
her durchaus Anlaß dazu gegeben wäre, etwa bei der Erwähnung der
Agone und Opfer (38, 1). So ist der Mensch und die Polis ganz auf
sich selbst gestellt, das Leben des Menschen wird vom rein mensch-
lichen Aspekt her gesehen. Geradezu programmatisch wird dies aus-
gedrückt in der Formulierung, der athenische Mensch erweise sich als
autarke Person (ro ocöpcc aurapneg, 42, 1), in ganz betontem Gegensatz
zu der älteren Auffassung Herodots (I 32, 8), wonach der Mensch
nicht autark ist, Autarkie vielmehr die Grenzen des Menschlichen
übersteigt, nur der Gottheit zukommt, während der Mensch seine
Nichtigkeit und Abhängigkeit erkennen muß. Zur Erklärung dieses
Befundes im Epitaphios verweist man62 meist ganz allgemein auf die
im thukydideischen Geschichtsdenken wirksame sophistische Aufklä-
rung und speziell auf das doch ziemlich törichte Wort der Marcelli-
nus-vita (22), Thukydides sei a$£0<; f^epa. Hier ist nun aber genauer
zu differenzieren zwischen der Religiosität (bzw. deren Fehlen) a)
bei dem historischen Perikies, b) bei dem thukydideischen Perikies,
c) bei Thukydides.
a) Für den historischen Perikies sind gewisse religiöse Züge durch-
aus greifbar. Auszugehen ist von dem einzigen sicheren Zeugnis, das
sich in der Samischen Leichenrede findet, die Gefallenen seien un-
sterblich geworden wie die Götter, denn die Götter sehen wir nicht,
wir schließen auf ihre Unsterblichkeit nur durch die Ehren, die sie ge-
61 Der folgende Hinweis auf ein Mißlingen einer Unternehmung (43, 1) läßt sich
kaum als Hindeutung des Thukydides auf das Scheitern des ganzen Krieges
verstehen. Die Beziehung zu I 70, 7 ist offenkundig.
62 Z. B. Kakridis 37.