Der Epitaphios des Perikies
33
vielfach da die tu/t] ins Spiel, wo Herodot von Göttern reden würde63.
Doch als ccfteog fipepa ist er ganz unzureichend charakterisiert, und der
Unterschied zur Haltung des Perikies ist spürbar. Es geht also nicht
an, von vornherein das Fehlen jeden Bezugs zum göttlich-religiösen
Bereich im Epitaphios auf das Konto des aufgeklärten Thukydides
zu setzen.
Fassen wir vorläufig zusammen: Der Epitaphios ist weder die
wirkliche Rede des Perikies von 431 noch das Glaubensbekenntnis
des greisen Thukydides. Es handelt sich um eine von Thukydides
komponierte Rede - möglicherweise unter Verwendung einiger peri-
kleischer Argumentationen —, mit der er die Politik und die Denk-
weise des Perikies auf dem Höhepunkt der Macht Athens nach dem
ersten Kriegsjahr durch den Mund des Perikies selbst zum Ausdruck
bringen wollte.
Der Epitaphios enthüllt dabei das Denken des Perikies als ein
Machtdenken64. Das Entscheidende ist die Wechselbeziehung vom
Ethos des Menschen und der Machtfülle der Stadt, deren Vorrang-
stellung aus Machtgewinn und Stärke abgeleitet wird. Der einzelne
hat sich der Polis unterzuordnen; seine apsnj wird in numerisch-
statistischer Betrachtungsweise als Material für die Staatszwecke an-
gesehen. Die von vielen als Ideal empfundene Schilderung des athe-
nischen Menschen ist im Grunde eine Ethopoiie des Machtmenschen.
Überhaupt wird im Epitaphios die Wirklichkeit weniger idealisiert
als vielmehr in gewissem Sinne ,manipuliert4 insofern, als nicht nur
Einzelheiten einseitig dargestellt werden, sondern auch die Situation
des Epitaphios im ganzen unter dem Deckmantel von Brauch und
Sitte für das Staatsinteresse ausgenutzt wird65. Das Abbiegen der
63 Vgl. H. Strasburger, Die Entdeckung der politischen Geschichte durch Thuky-
dides, Saeculum 5, 1964, 407 und 417f. (= Thuk., Wege d. Forschg. 412ff.).
64 Daß die Politik des Perikies - auch in der Darstellung des Thukydides - den
Charakter des Imperialismus trägt, hat J. de Romilly, a. 0. 11 Off. im einzelnen
ausführlich analysiert, nur glaubt sie nachweisen zu können, daß Thukydides
Perikies uneingeschränkt bewundert habe. Entsprechend hält sie auch daran
fest, daß der Epitaphios eine Apologie für Perikies sei.
65 Natürlich sei nicht bestritten, daß einige Einzelzüge in der Rede für sich ge-
nomme Ideale darstellen (hinter denen die Wirklichkeit zurückbleibt), aber
diese Vorstellungen stehen ja nicht für sich als schöne Ziele, sondern werden
von Perikies für den hegemonialen Machtanspruch Athens ausgewertet und
diesem Zweck untergeordnet. Das ist der tiefere Sinn der ständigen Gegen-
überstellung der athenischen mit den spartanischen Verhältnissen im Epita-
phios. Der Epitaphios ist also alles andere als „ein geschichtsloses Bild“, das
3 Flashar, Der Epitaphios des Perikies
33
vielfach da die tu/t] ins Spiel, wo Herodot von Göttern reden würde63.
Doch als ccfteog fipepa ist er ganz unzureichend charakterisiert, und der
Unterschied zur Haltung des Perikies ist spürbar. Es geht also nicht
an, von vornherein das Fehlen jeden Bezugs zum göttlich-religiösen
Bereich im Epitaphios auf das Konto des aufgeklärten Thukydides
zu setzen.
Fassen wir vorläufig zusammen: Der Epitaphios ist weder die
wirkliche Rede des Perikies von 431 noch das Glaubensbekenntnis
des greisen Thukydides. Es handelt sich um eine von Thukydides
komponierte Rede - möglicherweise unter Verwendung einiger peri-
kleischer Argumentationen —, mit der er die Politik und die Denk-
weise des Perikies auf dem Höhepunkt der Macht Athens nach dem
ersten Kriegsjahr durch den Mund des Perikies selbst zum Ausdruck
bringen wollte.
Der Epitaphios enthüllt dabei das Denken des Perikies als ein
Machtdenken64. Das Entscheidende ist die Wechselbeziehung vom
Ethos des Menschen und der Machtfülle der Stadt, deren Vorrang-
stellung aus Machtgewinn und Stärke abgeleitet wird. Der einzelne
hat sich der Polis unterzuordnen; seine apsnj wird in numerisch-
statistischer Betrachtungsweise als Material für die Staatszwecke an-
gesehen. Die von vielen als Ideal empfundene Schilderung des athe-
nischen Menschen ist im Grunde eine Ethopoiie des Machtmenschen.
Überhaupt wird im Epitaphios die Wirklichkeit weniger idealisiert
als vielmehr in gewissem Sinne ,manipuliert4 insofern, als nicht nur
Einzelheiten einseitig dargestellt werden, sondern auch die Situation
des Epitaphios im ganzen unter dem Deckmantel von Brauch und
Sitte für das Staatsinteresse ausgenutzt wird65. Das Abbiegen der
63 Vgl. H. Strasburger, Die Entdeckung der politischen Geschichte durch Thuky-
dides, Saeculum 5, 1964, 407 und 417f. (= Thuk., Wege d. Forschg. 412ff.).
64 Daß die Politik des Perikies - auch in der Darstellung des Thukydides - den
Charakter des Imperialismus trägt, hat J. de Romilly, a. 0. 11 Off. im einzelnen
ausführlich analysiert, nur glaubt sie nachweisen zu können, daß Thukydides
Perikies uneingeschränkt bewundert habe. Entsprechend hält sie auch daran
fest, daß der Epitaphios eine Apologie für Perikies sei.
65 Natürlich sei nicht bestritten, daß einige Einzelzüge in der Rede für sich ge-
nomme Ideale darstellen (hinter denen die Wirklichkeit zurückbleibt), aber
diese Vorstellungen stehen ja nicht für sich als schöne Ziele, sondern werden
von Perikies für den hegemonialen Machtanspruch Athens ausgewertet und
diesem Zweck untergeordnet. Das ist der tiefere Sinn der ständigen Gegen-
überstellung der athenischen mit den spartanischen Verhältnissen im Epita-
phios. Der Epitaphios ist also alles andere als „ein geschichtsloses Bild“, das
3 Flashar, Der Epitaphios des Perikies