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Flashar, Hellmut; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1969, 1. Abhandlung): Der Epitaphios des Perikles: seine Funktion im Geschichtswerk d. Thukydides — Heidelberg, 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.44304#0051
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Der Epitaphios des Perikies 41
Auf der anderen Seite gibt der ,Nachruf auf eine Reihe von
Fragen, die sich gerade durch die thukydideische Darstellung des
Geschehens aufdrängen, keine Antwort78. So bleibt im ganzen das
Urteil über Perikies betont innerhalb der Intention der perikleischen
Politik. Perikies wird also an den Maximen seines eigenen Wollens
gemessen. Das ist bezeichnend für die persönlichen Urteile im Werk
des Thukydides überhaupt. Wenn Thukydides z. B. VII 86, 5 in
dem kurzen Nachruf auf Nikias hervorhebt, daß dieser Mann es am
wenigsten verdient habe, in solches Unglück zu geraten, weil seine
ganze Lebensführung auf die dgcnj ausgerichtet gewesen sei, so ist
darin die von Thukydides ausführlich dargestellte und ja doch nicht
sehr glückliche Rolle des Nikias als Feldherr ganz unberücksichtigt
geblieben, weil Nikias selbst den Feldzug gegen Sizilien nicht ge-
wollt hat, hingegen durchdrungen war von Gerechtigkeitsgefühl
gegen die Menschen und Ehrfucht den Göttern gegenüber (VII 77,2).
Darauf bezieht sich der Arete-Begriff des ,Nachrufes', welcher auch
hier im Rahmen der Intention des Betroffenen bleibt.
Wenn nun Thukydides auf der Ebene der Intention der jeweili-
gen Gestalt direkt wertet, so bedeutet das nicht, daß diese Ebene
stets mit der des Thukydides zusammenfällt. Vergleicht man die
Darstellung der Ereignisse mit dem Nachruf auf Perikies, so kann
nicht übersehen werden, daß alle Faktoren, die der menschlichen
Planung entzogen sind und ja tatsächlich auf den Gang der Ereig-
nisse noch zur Zeit des Perikies entscheidend eingewirkt haben, in
dem ,Nachruf' unberücksichtigt bleiben. Aber gerade die Darstellung
des Thukydides läßt ja deutlich erkennen, daß diese Faktoren die
Möglichkeiten und Sicherheiten perikleischer Politik erheblich ein-
schränken. Sinnfällig wird dies in dem Hereinbrechen der Pest, deren
Einfluß auf das politische Geschehen Perikies (nach der Darstellung
des Thukydides) als Einzelfall zu isolieren sucht79, während Thuky-
gleichen Machtdenkens bewegt wie seine Nachfolger, m. E. aber Thukydides
selbst nicht auf dieses Denken festgelegt werden kann.
78 Daß das Urteil über die Gründe des Scheiterns der sizilischen Expedition (65,
11-12) mit der Darstellung in den Büchern VI und VII nicht voll übereinstimmt,
hat Gomme, a. 0. 195f. m. E. richtig hervorgehoben. Ob daraus auf eine frühere
Abfassungszeit der Bücher VI und VII zu schließen ist, wie sie aus anderen
Gründen K. Ziegler, Zur Datierung der sizilischen Bücher des Thukydides,
Gymnasium 74, 1967, 327ff. vertritt, mag dahingestellt sein. Vgl. auch F. Dorn-
seiff, DLZ51, 1930,546.
79 In der letzten Perikiesrede II 64, 1: rtgccypa povov öf] rööv navrcov sknihog
xpsiaaov yeyevT]pevov.
 
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