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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1973, 4. Abhandlung): Die neuen Menanderpapyri und die Originalität des Plautus: vorgetragen am 9. Dez. 1972 — Heidelberg, 1973

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https://doi.org/10.11588/diglit.44332#0023
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Die neuen Menanderpapyri und die Originalität des Plautus

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der dramatischen Kunst erweist. Dort begegnen sich Mutter und
Sohn, Kreusa und Ion, ohne sich zu erkennen. Kreusa hat ihren Sohn
von Apollo empfangen und dann ausgesetzt. Ion berichtet ihr, als
Säugling sei er aufgefunden und von der Apollopriesterin in Delphi
aufgezogen worden. Darauf erzählte Kreusa, was ihr selbst wider-
fahren ist, aber so, daß sie es von einer Freundin berichtet (330):
«Dasselbe wie deine Mutter hat eine andere Frau erfahren.» Was ihr
die Zunge löst, ist die Erinnerung an das eigene Leid, das in ihr auf-
bricht, das menschliche Mitgefühl und wohl auch eine geheime
Ahnung. Was ihr aber verbietet, die volle Wahrheit zu sagen, ist die
Scham, sich dem vermeintlich Fremden gegenüber offen auszuspre-
chen.
Eine andere berühmte Szene des Ausweichens in die Fiktion fin-
det sich in der Alkestis des Euripides, wo Herakles das Haus des
Admet betritt, gerade, als Alkestis gestorben ist. Hier ist es die Scheu,
den Gastfreund zurückzuweisen und ihm wehezutun, die den König
veranlaßt, von dem Tod einer fiktiven Verwandten zu reden. Im
<Hippolytos> des Euripides verhüllt die liebeskranke Phaedra das Ge-
ständnis ihrer Leidenschaft in dem Wunsch, an einem anmutigen Ort
in dem Schatten eines Baumes, an einem Bach zu ruhen, Wurfspieße
zu schleudern und Pferde zu tummeln. Dies alles ist die verhüllende
Vorbereitung des Bekenntnisses, daß sie ihren Stiefsohn, den Jäger
Hippolytos, liebt19.
Ins Possenhafte gewendet ist die Scheu, die eigene Liebe zu bekennen
und sie in einer erfundenen Geschichte zu verstecken im <Mercator> des
Plautus, in jener Szene, von der Wolf Hartmut Friedrich sagte, sie sei
nicht nur das Glanzstück dieses Lustspiels, sondern eine der besten Sze-
nen der neueren Komödie, vielleicht der komischen Weltliteratur (a. O.
178). Ein junger Athener bringt von einer Geschäftsreise eine hübsche
Geliebte mit und will sie in sein Elternhaus einschmuggeln, indem er
vorgibt, sie als Dienerin für seine Mutter gekauft zu haben. Sein Vater
jedoch erblickt das Mädchen auf dem Schiff im Hafen, verliebt sich

1 !Das Sich-Herantasten an das Bekenntnis einer verbotenen Liebe hat dann Schiller
im <Don Carlos> angewandt, indem er sich wieder einer erfundenen Geschichte
bediente. Um ein Gespräch zwischen Carlos und seiner Mutter, die er liebt, her-
beizuführen, erzählt Marquis Posa (1. Akt, 4. Szene) der Königin eine fingierte
Geschichte: <Zwei edle Häuser in Mirandola . . .>, eine Verschlüsselung des tra-
gischen Schicksals der Königin und des Infanten, die einander versprochen waren,
aber voneinander getrennt wurden, indem der Vater die Braut des Sohnes für
sich selbst in Anspruch nahm.
 
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