Die neuen Menanderpapyri und die Originalität des Plautus
27
Aus dem alten Testament gehört hier 2. Samuel 1226: David hat
Urias in den Tod geschickt und seine Frau geheiratet. Nun erzählt
ihm Nathan ein Gleichnis, dessen Sinn er zunächst nicht durchschaut.
Er ruft: «Des Todes ist der Mann, der das getan», worauf Nathan er-
widert: «Du bist der Mann.»
Eng verwandt ist die Geschichte, die das Weib von Tekoa dem
König David von ihren beiden Söhnen erzählt (2. Samuel 14). Der
eine hat den andern erschlagen, und nun soll der Täter zur Strafe
getötet werden, wodurch ihr ganzes Geschlecht aussterben würde
König David urteilt, daß dies nicht geschehen dürfe. Damit aber hat
er, worauf die fiktive Geschichte hinauslief, sich selbst das Urteil ge-
sprochen: er muß seinen Sohn Absalom begnadigen, den er verstieß,
weil er einen seiner andern Söhne getötet hatte. Dem gleichen Zweck
dient die fiktive Rede des unbekannten Propheten vor dem israeli-
schen König Ahab, (1 Könige 20, 39-42), durch die der König ge-
zwungen wird, die Freilassung des feindlichen Syrerkönigs als unge-
rechtfertigt anzuerkennen, und Jothams Fabel (Richter 9, 7-15), die
Martin Buber die stärkste antimonarchische Dichtung der Weltlite-
ratur nannte27.
Mit den Gleichnisreden des Alten Testaments eng verwandt ist die
orientalische und die griechisch-römische Fabel. Perry28 definiert die
Fabel als Erzählung eines einzeln erfundenen Ereignisses in der Ver-
gangenheit zur Veranschaulichung einer Idee, eines ethischen Prin-
zips oder einer Wahrheit, die generalisierend oder auch spezifisch,
das heißt für eine bestimmte Person oder einen bestimmten Personen-
kreis gedacht sein kann. Dabei unterscheidet er nach der beabsichtig-
ten Wirkung vor allem zwei Funktionen:
1. Satire oder Anklage. Die beabsichtigte Wirkung ist: «Das bist
du», beziehungsweise «Er ist genauso ein Narr wie der, dessen Tun
ich gerade beschrieben habe», oder schärfer: «Du bist der Mann.»
2. Indirekte Mitteilung einer Wahrheit oder eines Gedankens, oft
26 Die Verwandtschaft zwischen dem genannten Märchentyp und den Gleichnis-
reden des AT hat H. Gunkel, Das Märchen im Alten Testament, Rel.-gesch.
Volksbücher, 2. Reihe: Die Rel. des AT, 23-26. Heft, Tübingen 1917, erkannt.
Ob aber die Geschichten losgelöst von ihrer Anwendung das Ursprüngliche waren,
muß unbestimmt bleiben. Es wird die Phantasie unterschätzt, die den speziellen
Fall durch eine ad hoc erfundene Geschichte zu verdeutlichen vermag.
27 Zitiert bei R. Dithmar, a. O. S. 19.
28 B.E. Perry, Fable, Studium Generale 12, 1959, S. 17-37.
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Aus dem alten Testament gehört hier 2. Samuel 1226: David hat
Urias in den Tod geschickt und seine Frau geheiratet. Nun erzählt
ihm Nathan ein Gleichnis, dessen Sinn er zunächst nicht durchschaut.
Er ruft: «Des Todes ist der Mann, der das getan», worauf Nathan er-
widert: «Du bist der Mann.»
Eng verwandt ist die Geschichte, die das Weib von Tekoa dem
König David von ihren beiden Söhnen erzählt (2. Samuel 14). Der
eine hat den andern erschlagen, und nun soll der Täter zur Strafe
getötet werden, wodurch ihr ganzes Geschlecht aussterben würde
König David urteilt, daß dies nicht geschehen dürfe. Damit aber hat
er, worauf die fiktive Geschichte hinauslief, sich selbst das Urteil ge-
sprochen: er muß seinen Sohn Absalom begnadigen, den er verstieß,
weil er einen seiner andern Söhne getötet hatte. Dem gleichen Zweck
dient die fiktive Rede des unbekannten Propheten vor dem israeli-
schen König Ahab, (1 Könige 20, 39-42), durch die der König ge-
zwungen wird, die Freilassung des feindlichen Syrerkönigs als unge-
rechtfertigt anzuerkennen, und Jothams Fabel (Richter 9, 7-15), die
Martin Buber die stärkste antimonarchische Dichtung der Weltlite-
ratur nannte27.
Mit den Gleichnisreden des Alten Testaments eng verwandt ist die
orientalische und die griechisch-römische Fabel. Perry28 definiert die
Fabel als Erzählung eines einzeln erfundenen Ereignisses in der Ver-
gangenheit zur Veranschaulichung einer Idee, eines ethischen Prin-
zips oder einer Wahrheit, die generalisierend oder auch spezifisch,
das heißt für eine bestimmte Person oder einen bestimmten Personen-
kreis gedacht sein kann. Dabei unterscheidet er nach der beabsichtig-
ten Wirkung vor allem zwei Funktionen:
1. Satire oder Anklage. Die beabsichtigte Wirkung ist: «Das bist
du», beziehungsweise «Er ist genauso ein Narr wie der, dessen Tun
ich gerade beschrieben habe», oder schärfer: «Du bist der Mann.»
2. Indirekte Mitteilung einer Wahrheit oder eines Gedankens, oft
26 Die Verwandtschaft zwischen dem genannten Märchentyp und den Gleichnis-
reden des AT hat H. Gunkel, Das Märchen im Alten Testament, Rel.-gesch.
Volksbücher, 2. Reihe: Die Rel. des AT, 23-26. Heft, Tübingen 1917, erkannt.
Ob aber die Geschichten losgelöst von ihrer Anwendung das Ursprüngliche waren,
muß unbestimmt bleiben. Es wird die Phantasie unterschätzt, die den speziellen
Fall durch eine ad hoc erfundene Geschichte zu verdeutlichen vermag.
27 Zitiert bei R. Dithmar, a. O. S. 19.
28 B.E. Perry, Fable, Studium Generale 12, 1959, S. 17-37.