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Vektor Pöschl
Lektüre auf einmal recht weit komme, so etwas ist heute nachmittag
passiert. Die Grenze zwischen zärtlich attachierend und frivol ist mir
auf einmal ganz klar geworden, und auch die zwischen dem, was man
vielleicht noch entschuldigen könnte, und dem, was einfach uner-
laubt ist.»
Jaromir, verstockt: «Ich verstehe Sie absolut nicht.»
Melanie, sehr ernst: «So? Sie verstehen mich nicht? Wirklich, Jaro-
mir? . . .»
Ich breche hier ab; das Vorgebrachte mag genügen, um deutlich zu
machen, in welche Zusammenhänge die plautinische Szene der
Bacchiden einzuordnen ist: die Kunstgriffe der irreführenden Rede,
des Herantastens an die Wahrheit, der Einführung des fiktiven Drit-
ten, der unbewußten Selbstbezichtigung hat Plautus in dem Gespräch
der beiden Freunde angewandt, während sich in Menanders doppel-
tem Betrügen nichts dergleichen fand. Dadurch ist die Szene nicht nur
spannender, bühnenwirksamer und komischer, sondern auch viel-
schichtiger und menschlich reicher geworden. In der plautini-
schen Begegnung mit dem Freund streiten zwei Gefühle miteinander,
die Empörung und die Zuneigung, die trotz allem noch nicht ganz er-
storben ist. Die Empörung entlädt sich in den Vorwürfen, die freund-
schaftliche Verbundenheit, die trotz allem noch besteht, in der Scheu,
den Vorwurf dem Freund gegenüber offen ins Gesicht zu schleudern.
Wie das Verhalten zur Geliebten ist auch sein Verhalten zum Freund
zwiespältig, und die Zwiespältigkeit ist in beiden Fällen bei Plautus
bühnenwirksamer gestaltet als bei Menander. Das Zögern, dem
anderen wehe zu tun, ist mit dem, was man als attische Urbanität und
Humanität empfunden hat, durchaus verwandt. Über die Szene als
Ganzes hat man in der wissenschaftlichen Literatur bisher nicht ge-
sprochen, aber den Passus über die falschen Freunde hat man aus-
drücklich dem Menander zugeschrieben, wozu ein textkritisches Pro-
blem Anlaß gab. In dem Plautuspalimpsest, dem Ambrosianus, der
erst im 19. Jahrhundert entdeckt wurde und den man lange Zeit für
die wertvollste Handschrift hielt, findet sich dieser Passus nämlich
nicht, er ist nur im Palatinus überliefert. Leo hat sich mit Recht dafür
entschieden, dem Palatinus zu folgen, und Thierfelder hat sich ihm
angeschlossen, indem er auf die besondere Anmut dieser Stelle hin-
wies.36
36 F. Leo, Plautinische Forschungen, Berlin 19122, S. 131: «Gewiß stammt die
Vektor Pöschl
Lektüre auf einmal recht weit komme, so etwas ist heute nachmittag
passiert. Die Grenze zwischen zärtlich attachierend und frivol ist mir
auf einmal ganz klar geworden, und auch die zwischen dem, was man
vielleicht noch entschuldigen könnte, und dem, was einfach uner-
laubt ist.»
Jaromir, verstockt: «Ich verstehe Sie absolut nicht.»
Melanie, sehr ernst: «So? Sie verstehen mich nicht? Wirklich, Jaro-
mir? . . .»
Ich breche hier ab; das Vorgebrachte mag genügen, um deutlich zu
machen, in welche Zusammenhänge die plautinische Szene der
Bacchiden einzuordnen ist: die Kunstgriffe der irreführenden Rede,
des Herantastens an die Wahrheit, der Einführung des fiktiven Drit-
ten, der unbewußten Selbstbezichtigung hat Plautus in dem Gespräch
der beiden Freunde angewandt, während sich in Menanders doppel-
tem Betrügen nichts dergleichen fand. Dadurch ist die Szene nicht nur
spannender, bühnenwirksamer und komischer, sondern auch viel-
schichtiger und menschlich reicher geworden. In der plautini-
schen Begegnung mit dem Freund streiten zwei Gefühle miteinander,
die Empörung und die Zuneigung, die trotz allem noch nicht ganz er-
storben ist. Die Empörung entlädt sich in den Vorwürfen, die freund-
schaftliche Verbundenheit, die trotz allem noch besteht, in der Scheu,
den Vorwurf dem Freund gegenüber offen ins Gesicht zu schleudern.
Wie das Verhalten zur Geliebten ist auch sein Verhalten zum Freund
zwiespältig, und die Zwiespältigkeit ist in beiden Fällen bei Plautus
bühnenwirksamer gestaltet als bei Menander. Das Zögern, dem
anderen wehe zu tun, ist mit dem, was man als attische Urbanität und
Humanität empfunden hat, durchaus verwandt. Über die Szene als
Ganzes hat man in der wissenschaftlichen Literatur bisher nicht ge-
sprochen, aber den Passus über die falschen Freunde hat man aus-
drücklich dem Menander zugeschrieben, wozu ein textkritisches Pro-
blem Anlaß gab. In dem Plautuspalimpsest, dem Ambrosianus, der
erst im 19. Jahrhundert entdeckt wurde und den man lange Zeit für
die wertvollste Handschrift hielt, findet sich dieser Passus nämlich
nicht, er ist nur im Palatinus überliefert. Leo hat sich mit Recht dafür
entschieden, dem Palatinus zu folgen, und Thierfelder hat sich ihm
angeschlossen, indem er auf die besondere Anmut dieser Stelle hin-
wies.36
36 F. Leo, Plautinische Forschungen, Berlin 19122, S. 131: «Gewiß stammt die