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Gärtner, Hans Armin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1974, 5. Abhandlung): Cicero und Panaitios: Beobachtungen zu Ciceros "De officiis" ; vorgel. am 12. Jan. 1974 v. Viktor Pöschl — Heidelberg: Winter, 1974

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https://doi.org/10.11588/diglit.45448#0031
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Cicero und Panaitios

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Der Deutlichkeit halber sei vorweg gesagt, daß die Systematisie-
rungstendenz am deutlichsten bei der Verwendung des Begriffes des
<decorum generale> (§ 96) in Erscheinung tritt.
(a) Kritischer Überblick
Im ersten Satz des § 93 wird rahmenmäßig eine Angabe des neuen
Themas oder besser Bereiches geboten, «in dem man die Scheu vor
Verletzung des Anstandes und gleichsam eine vollendet schöne
Ordnung17 des Lebens, Mäßigung und Selbstbeherrschung, alle
Besänftigungen der Leidenschaften der Seele und das Maßhalten in
den Dingen erkennt». Mit <hoc loco continetur> wird locker angefügt,
daß hierher das <decorum> (πρέπον) gehört18.
Es überrascht, daß Cicero gleich eine Bestimmung des Verhält-
nisses von <decorum> und <honestum> versucht19: Das Wesen des
<decorum> ist, daß es vom <honestum> nicht getrennt werden kann,
«denn was sich ziemt, ist ehrenhaft, und was ehrenhaft ist, ziemt
sich». <Honestum> und <decorum> hängen also dadurch zusammen,
daß der eine Wert, wenn er als Eigenschaft zu einer Handlung gehört,
zugleich auch den anderen Wert als Eigenschaft derselben Handlung
neben sich hat. Sie sind also nicht deckungsgleich. Weil sie nun
nicht deckungsgleich sind, kann Cicero im folgenden von <differentia>
reden: «Wie geartet aber der Unterschied zwischen dem Ehrenhaften
und dem Schicklichen ist, das kann man leichter einsehen als er-
klären. Denn was es auch immer ist, was sich ziemt, es erscheint
dann, wenn die Ehrenhaftigkeit vorangeschritten ist»20. Diese Aus-
sage wirkt wie eine Wiederholung des Satzes: <quod decet, honestum
est, et quod honestum est, decet>. Ein gewisser Fortschritt in der
Aussage besteht aber doch darin, daß der <honestas> der Vorrang
eingeräumt wird (<antegressa est>)21.
17 Holden, z.St. verweist auf Platos Staat 430 e (vgl. auch Gorgias 507 a).
Dort geht es darum, daß die Sophrosyne ein Kosmos, eine schöne Ordnung
der Seele ist. Das hieße aber übersetzt <ornatus animi>. Vielleicht hat Panaitios
an eine solche Stelle gedacht, aber mit der Wendung <ornatus vitae> eine für ihn
auch sonst typische Wendung zum Praktischen hin vollzogen. Vgl. auch Anm. 31
in ds. Kap.
18 Diese beiden Sätze bauen ersichtlich auf der Herleitung des <decorum> im Rah-
men der Gesamthonestas (§ 14) auf.
19 Vgl. Anhang II.
20 Das ist ein Bild. Die <honestas> hat in ihrem Gefolge das <decorum>. Ein ähnliches
Bild findet sich bei Horaz, C. 1,35,17-21: der <fortuna> geht die <necessitas> voraus
und <spes> und <fides> ehren sie (wohl als ihr Gefolge).
21 Vgl. Anhang II.
 
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