Metadaten

Gärtner, Hans Armin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1974, 5. Abhandlung): Cicero und Panaitios: Beobachtungen zu Ciceros "De officiis" ; vorgel. am 12. Jan. 1974 v. Viktor Pöschl — Heidelberg: Winter, 1974

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45448#0037
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Cicero und Panaitios

35

decorums. Sie bringt, wie wir sahen, nichts Neues, sondern wiederholt
nur Gedanken aus 1,11. Neues bringt dagegen die Definition des
untergeordneten <decorum> mit ihrem Hinweis auf das In-Er-
scheinung-Treten des <decorum>. Dieser Gedankenfortschritt sprengt
aber - wie wir sahen - das systematisierende Schema: übergeordnet -
untergeordnet.
Der ganze Definitionsversuch des § 96 hat nun aber trotz des auf-
gewiesenen Anstoßes vielleicht noch eine Daseinsberechtigung unter
dem Titel der systematischen Vollständigkeit. Diese systematische
Vollständigkeit ist aber, wie es Cicero vor der Einführung des
<honestum> (1,7) deutlich sagt, sein Bestreben, das ihn zu Korrekturen
an der Panaitionsschrift veranlaßt35. Deutliche Spuren dieses syste-
matisierenden Bestrebens zeigt auch, wie wir eben nachgewiesen
haben, die Einführung des <generale decorurm. Wir dürfen also
annehmen, daß Cicero in diesem Streben nach systematischer Voll-
ständigkeit und didaktischer Übersichtlichkeit Gedanken des Panaitios
die in einem methodisch überwiegend anderen - von der Empirie
ausgehenden, induktiven - Zusammenhang standen, verwendet und
sie seinem Ziel dienstbar macht. Von diesem Nebeneinander metho-
disch heterogener Bestandteile (einmal empirisch - induktiv, dann
stärker systematisierend) dürften die Schwierigkeiten der §§ 93-99
herrühren. Diese Annahme kann man am Text weiter erhärten.
(b) Ursprünglich empirisch-induktiver Gedankengang
Eindeutig systematisierenden Charakter haben neben dem schon
besprochenen § 96 auch die ersten drei Sätze von § 94: <Huius vis ea
est, . . .> bis <cum antegressa est honestas>. Daß diese Sätze im Zu-
sammenhang problematisch sind, haben wir schon beim ersten
Durchgang gesehen (vgl. oben S. 29). Nach der Ankündigung in
§ 93, daß über einen Teil der <honestas> gesprochen werden soll,
springt die Erörterung in § 94 dann wieder zum allgemeinen Tone-
sturm zurück.
35 Vgl. S. 11-15. Festhalten muß man, daß Cicero hier beim <decorum> die systemati-
sierenden Zusätze nicht vorweg bringt wie in 1,7 beim <honestum>, sondern daß
er versucht, diese in Gedankengänge des Panaitios einzuarbeiten. Darum sprechen
wir besser von systematisierenden Tendenzen, weil eine genaue materielle
Trennung von Gedanken Ciceros einerseits und Panaitios’ andererseits nicht
möglich ist. Sicher haben sich auch bei Panaitios Ansätze zu einer Systematisierung
gefunden. Sie haben aber den Nachfolgern (Hekaton u.a., vgl. S. 42ff.) nicht
genügt.

3*
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften