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Hans Armin Gärtner
L. Labowsky (a.O. S. 7/8) hat diesen Satz, Goldbachers Kritik
folgend, an das Ende des § 95 versetzt42. Sie hat richtig bemerkt,
daß man Aussagen über die Art und Weise, wie <decorum> und
<honestum> Zusammenhängen, erst dann machen kann, wenn darge-
legt ist, daß es das <decorum> im ganzen Bereich des <honestum< gibt
und daß es untrennbar mit den Tugenden verbunden ist. Das steht
aber erst in dem zweiten Satz: <Est enim quiddam . . .>. Im Unter-
schied zu L. Labowsky meinen wir nun aber, daß überhaupt das
Streben nach logisch-begrifflicher Bestimmung des Verhältnisses
von <honestum> und <decorum> außerhalb des ursprünglichen Ge-
dankenganges des Panaitios lag, in dem er empirisch vorging. Der
mit <quare> eingeleitete Satz ist demnach den systematischen Be-
strebungen zuzurechnen. Cicero dürfte dabei Gedanken des Panaitios
verwendet haben (vgl. dazu S. 41).
Wie wir sahen, wird sich also Panaitios, wie der zweite Teil des
§ 94 lehrt, auf die Erfahrung berufen haben, daß es das <decorum> in
allen Bereichen der Tugend gibt. Ihm ging es zunächst um das
Vorhandensein des <decorum> und dann um seine untrennbare
Verbindung mit dem <honestum>. In dem <quare>-Satz geht es aber
letztlich um die Möglichkeit, das Verhältnis der beiden Werte
theoretisch zu bestimmen. Dieser Satz gehört damit wesensmäßig
zu den systematisierenden Sätzen des § 94; und dort vor allem zu43:
<qualis autem differentia sit honesti et decori facilius intellegi quam
explanari potest>. Jetzt dienen die übrigen Sätze als Belege dafür,
daß sich das <decorum> auf die Gesamthonestas (<pertinet ad omnem
honestatem>) bezieht. Die Frage nach der Bestimmung des Ver-
hältnisses von <decorum> und <honestum> wird im zweiten Teil des
<quare>-Satzes offensichtlich unter Bezug auf das zweimalige <apparet>
in § 94 beantwortet: «und es gehört so zu ihm (zum Gesamthonestum),
daß es nicht mit einer tiefsinnigen Überlegung erkannt wird, sondern
42 Solche Umstellungen müßte man aus der Überlieferung erklären. Das ist aber
in diesem Falle sehr schwer. Die Versetzung eines ganzen Satzes ist hier mecha-
nisch nicht zu erklären. Die Wahrscheinlichkeit spräche mehr für Goldbachers
These der Randbemerkungen, die in den Text gedrungen sind (vgl. Vorrede,
Anm. 1.)
43 Er gehört übrigens auch zu dem ebenfalls systematisierenden § 96. Daß dieser
systematisierende Satz (quare ...) auf so störende Weise mitten in dem empi-
rischen Gedankengang steht, macht eine Deutung unmöglich, die man vielleicht
unserer Ansicht entgegenhalten könnte: Am Anfang des § 94 seien vorweg
systematische Behauptungen aufgestellt worden. Nach einem empirischen Be-
weisgang wäre man dann wieder am Ende des § 95 und im § 96 in einer Art
Ringkomposition bei den ersten Behauptungen.
Hans Armin Gärtner
L. Labowsky (a.O. S. 7/8) hat diesen Satz, Goldbachers Kritik
folgend, an das Ende des § 95 versetzt42. Sie hat richtig bemerkt,
daß man Aussagen über die Art und Weise, wie <decorum> und
<honestum> Zusammenhängen, erst dann machen kann, wenn darge-
legt ist, daß es das <decorum> im ganzen Bereich des <honestum< gibt
und daß es untrennbar mit den Tugenden verbunden ist. Das steht
aber erst in dem zweiten Satz: <Est enim quiddam . . .>. Im Unter-
schied zu L. Labowsky meinen wir nun aber, daß überhaupt das
Streben nach logisch-begrifflicher Bestimmung des Verhältnisses
von <honestum> und <decorum> außerhalb des ursprünglichen Ge-
dankenganges des Panaitios lag, in dem er empirisch vorging. Der
mit <quare> eingeleitete Satz ist demnach den systematischen Be-
strebungen zuzurechnen. Cicero dürfte dabei Gedanken des Panaitios
verwendet haben (vgl. dazu S. 41).
Wie wir sahen, wird sich also Panaitios, wie der zweite Teil des
§ 94 lehrt, auf die Erfahrung berufen haben, daß es das <decorum> in
allen Bereichen der Tugend gibt. Ihm ging es zunächst um das
Vorhandensein des <decorum> und dann um seine untrennbare
Verbindung mit dem <honestum>. In dem <quare>-Satz geht es aber
letztlich um die Möglichkeit, das Verhältnis der beiden Werte
theoretisch zu bestimmen. Dieser Satz gehört damit wesensmäßig
zu den systematisierenden Sätzen des § 94; und dort vor allem zu43:
<qualis autem differentia sit honesti et decori facilius intellegi quam
explanari potest>. Jetzt dienen die übrigen Sätze als Belege dafür,
daß sich das <decorum> auf die Gesamthonestas (<pertinet ad omnem
honestatem>) bezieht. Die Frage nach der Bestimmung des Ver-
hältnisses von <decorum> und <honestum> wird im zweiten Teil des
<quare>-Satzes offensichtlich unter Bezug auf das zweimalige <apparet>
in § 94 beantwortet: «und es gehört so zu ihm (zum Gesamthonestum),
daß es nicht mit einer tiefsinnigen Überlegung erkannt wird, sondern
42 Solche Umstellungen müßte man aus der Überlieferung erklären. Das ist aber
in diesem Falle sehr schwer. Die Versetzung eines ganzen Satzes ist hier mecha-
nisch nicht zu erklären. Die Wahrscheinlichkeit spräche mehr für Goldbachers
These der Randbemerkungen, die in den Text gedrungen sind (vgl. Vorrede,
Anm. 1.)
43 Er gehört übrigens auch zu dem ebenfalls systematisierenden § 96. Daß dieser
systematisierende Satz (quare ...) auf so störende Weise mitten in dem empi-
rischen Gedankengang steht, macht eine Deutung unmöglich, die man vielleicht
unserer Ansicht entgegenhalten könnte: Am Anfang des § 94 seien vorweg
systematische Behauptungen aufgestellt worden. Nach einem empirischen Be-
weisgang wäre man dann wieder am Ende des § 95 und im § 96 in einer Art
Ringkomposition bei den ersten Behauptungen.