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Hans Armin Gärtner
tritt. Das wird dann mithilfe des Bühnenvergleiches, wie wir noch
sehen werden, systematisch entfaltet und die <approbatio> (§ 98) und
<reverentia> (§ 99) zu diesem Satz in Beziehung gebracht.
Es wäre nun ganz falsch, Cicero allein für die Umformung der
Gedanken des Panaitios verantwortlich zu machen. An Ciceros
Aussagen wird deutlich, daß er Panaitios nicht unbesehen folgt
(vgl. Vorrede Anm. 4) und daß es wissenschaftliche Diskussionen um
diese Schrift des Panaitios gab (III,9, vgl. S. 11-13). Außerdem wird
aus der Einleitung der Definitionen in § 96: <definiunt>, <definiri
solet> deutlich, daß schon vor Cicero an den Gedanken des Panaitios
gearbeitet wurde51. Μ. Pohlenz (Stoa, S. 194 und 207) betont, daß
Panaitios die Kasuistik widerstrebte, daß ihm der göttliche Plato
näher stand als Zeno und Chrysipp und daß er von den kleinen
dogmatischen Streitigkeiten auch auf Kosten der philosophischen
Schärfe den Weg zu den großen weltanschaulichen Gedanken des
Stifters suchte. - Wenn dem so war, dann mußte es natürlich einen
Stoiker strengerer Observanz reizen, die Anschauungsformen des
Panaitios schulgerecht umzumodeln. Pohlenz (Stoa, S. 241) denkt
hier an Hekaton, den Schüler des Panaitios52. Wirklich läßt sich
diese Definitionsform, die sich übergeordneter Begriffe bedient, bei
vielleicht auch inhaltlich verwandten Definitionen von Stoikern,
bes. von Hekaton53, nachweisen. Es war ja schließlich auch für
Systematiker eine Herausforderung, wenn Panaitios - wie wir
51 Μ. Pohlenz, Stoa, Bd. 2, S. 99 zu S. 195, deutet z.B. de nat. deorum 118:
<dicebant> auf einen Jungstoiker und Panaitios.
Daß der Stoiker Antipater Panaitios kritisiert habe, berichtet Cic. de off. 11,86.
52 Μ. Pohlenz, Stoa, S. 243, spricht in diesem Zusammenhang auch von Zu-
sammenstellungen von Definitionen in Handbuchform.
53 R. Philippson, Das Sittlichschöne bei Panaitios, S. 376/7, hat aus den Ab-
schnitten Stobaios II p. 62; 5b 4, und Diogenes Laertios VII, 90 die Lehre von den
beiden Arten derTugenden, nämlich den θεωρηματικαί άρεταί und den αθεώρητοί,
άρεταί Hekaton, dem Schüler des Panaitios zugewiesen. Philippson zeigt, daß
Hekaton zwischen der herkömmlichen Lehre Chrysipps und den eigenwilligen
Anschauungen seines Lehrers vermittelt (a.O. S. 364 u. S. 378). Die untheore-
tischen Tugenden beruhen nicht auf Erkenntnis, sind keine τέχναι. oder έπιστημαι
wie die Kardinaltugenden (Stobaios 5, 4b, vgl. Philippson, a.O. S. 365), sondern
kommen zu diesen hinzu (έπιγίγνονται), es sind Kräfte (δυνάμεις), die sich
aus der Übung der Kardinaltugenden zusätzlich ergeben (περιγίγνονται) wie
die Gesundheit der Seele, ihre Unversehrtheit, ihre Kraft und Schönheit. Ähn-
liches steht auch bei Diogenes Laertios VII, 90f. (vgl. Philippson, S. 374). Be-
sonders wichtig ist, daß der Mäßigung, die auf Erkenntnis beruht, die Gesundheit
folgt und sich neben ihr hinstreckt. Auch hier wird im folgenden betont, daß
diese αθεώρητοι, άρεταί dazutreten (έπιγίγνονται).
Über diese Gedanken hinausgehend, nach denen die untheoretischen Tugenden
Hans Armin Gärtner
tritt. Das wird dann mithilfe des Bühnenvergleiches, wie wir noch
sehen werden, systematisch entfaltet und die <approbatio> (§ 98) und
<reverentia> (§ 99) zu diesem Satz in Beziehung gebracht.
Es wäre nun ganz falsch, Cicero allein für die Umformung der
Gedanken des Panaitios verantwortlich zu machen. An Ciceros
Aussagen wird deutlich, daß er Panaitios nicht unbesehen folgt
(vgl. Vorrede Anm. 4) und daß es wissenschaftliche Diskussionen um
diese Schrift des Panaitios gab (III,9, vgl. S. 11-13). Außerdem wird
aus der Einleitung der Definitionen in § 96: <definiunt>, <definiri
solet> deutlich, daß schon vor Cicero an den Gedanken des Panaitios
gearbeitet wurde51. Μ. Pohlenz (Stoa, S. 194 und 207) betont, daß
Panaitios die Kasuistik widerstrebte, daß ihm der göttliche Plato
näher stand als Zeno und Chrysipp und daß er von den kleinen
dogmatischen Streitigkeiten auch auf Kosten der philosophischen
Schärfe den Weg zu den großen weltanschaulichen Gedanken des
Stifters suchte. - Wenn dem so war, dann mußte es natürlich einen
Stoiker strengerer Observanz reizen, die Anschauungsformen des
Panaitios schulgerecht umzumodeln. Pohlenz (Stoa, S. 241) denkt
hier an Hekaton, den Schüler des Panaitios52. Wirklich läßt sich
diese Definitionsform, die sich übergeordneter Begriffe bedient, bei
vielleicht auch inhaltlich verwandten Definitionen von Stoikern,
bes. von Hekaton53, nachweisen. Es war ja schließlich auch für
Systematiker eine Herausforderung, wenn Panaitios - wie wir
51 Μ. Pohlenz, Stoa, Bd. 2, S. 99 zu S. 195, deutet z.B. de nat. deorum 118:
<dicebant> auf einen Jungstoiker und Panaitios.
Daß der Stoiker Antipater Panaitios kritisiert habe, berichtet Cic. de off. 11,86.
52 Μ. Pohlenz, Stoa, S. 243, spricht in diesem Zusammenhang auch von Zu-
sammenstellungen von Definitionen in Handbuchform.
53 R. Philippson, Das Sittlichschöne bei Panaitios, S. 376/7, hat aus den Ab-
schnitten Stobaios II p. 62; 5b 4, und Diogenes Laertios VII, 90 die Lehre von den
beiden Arten derTugenden, nämlich den θεωρηματικαί άρεταί und den αθεώρητοί,
άρεταί Hekaton, dem Schüler des Panaitios zugewiesen. Philippson zeigt, daß
Hekaton zwischen der herkömmlichen Lehre Chrysipps und den eigenwilligen
Anschauungen seines Lehrers vermittelt (a.O. S. 364 u. S. 378). Die untheore-
tischen Tugenden beruhen nicht auf Erkenntnis, sind keine τέχναι. oder έπιστημαι
wie die Kardinaltugenden (Stobaios 5, 4b, vgl. Philippson, a.O. S. 365), sondern
kommen zu diesen hinzu (έπιγίγνονται), es sind Kräfte (δυνάμεις), die sich
aus der Übung der Kardinaltugenden zusätzlich ergeben (περιγίγνονται) wie
die Gesundheit der Seele, ihre Unversehrtheit, ihre Kraft und Schönheit. Ähn-
liches steht auch bei Diogenes Laertios VII, 90f. (vgl. Philippson, S. 374). Be-
sonders wichtig ist, daß der Mäßigung, die auf Erkenntnis beruht, die Gesundheit
folgt und sich neben ihr hinstreckt. Auch hier wird im folgenden betont, daß
diese αθεώρητοι, άρεταί dazutreten (έπιγίγνονται).
Über diese Gedanken hinausgehend, nach denen die untheoretischen Tugenden