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Hans Armin Gärtner
keinen Fall stammen die Definitionen des <generale decorurm von
ihm, weil dort das für das πρέπον charakteristische «In-Erscheinung-
Treten» keine Rolle spielt.
Wenn nun das <decorum> bei allen Tugenden in Erscheinung trat,
entwickelte es sich ja zu einem Rivalen des <honestum> und forderte
so zu einer definitorischen Bestimmung mit der herkömmlichen
stoischen Begrifflichkeit heraus54. Dabei konnte man von Stellen in
der Schrift des Panaitios ausgehen, die etwas über ein <generale
decorum> auszusagen schienen; so vor allem vom § 107. Dort ist die
Rede von den zwei Rollen (personae), die jedem aufgegeben sind.
Die allen gemeinsame Rolle ist bestimmt durch unsere Vernunft-
begabtheit und unseren Vorrang vor den Tieren, von dem alles
Ehrenhafte und Schickliche (<omne honestum decorumgt/e> also
καλόν und πρέπον gleich eingestuft)55 abgeleitet wird, und von wo
man die Methode zum Auffinden der Pflicht zu bekommen sucht.
Die andere Rolle ist unsere individuelle Anlage. Panaitios stellt hier
unsere Vernunftnatur, aus der er die vier Kardinaltugenden abge-
leitet hat (1,14), der individuellen Anlage gegenüber, aber nicht das
allgemeine <decorum> dem speziellen.
Trotzdem konnte man von dieser Stelle zu einer Definition des
<generale decorum> kommen als: <consentaneum hominis excellentiae
in eo, in quo natura eius a reliquis animantibus differat>. Hält man
dagegen, was Panaitios sonst (etwa 1,14) über die Sinnenfälligkeit
des <decorum> gesagt hat, so wird der qualitative Unterschied zwischen
dem πρέπον des Panaitios und der Hilfskonstruktion des <generale
decorum> deutlich.
σωφροσύνη eigentlich hier der Rang gebühre, denn für den (vollkommenen)
stoischen σοφός war nach alter stoischer Lehre das πρέπον - weil in den Bereich
der καθήκοντα gehörend - eigentlich ein άδιάφορον (vgl. Pohlenz, Stoa, 130/1).
Hier dürfte die Schulauseinandersetzung um die Schrift des Panaitios angesetzt
haben und sein Schüler Hekaton versucht haben, die Lehre seines Meisters
dogmatisch abzusichern. Er tat dies mit der Lehre, daß das πρέπον ein έπιγιγνόμε-
νόν des καλόν sei. Dadurch war sichergestellt, daß das πρέπον nicht die alten
Tugenden verdrängte. Diese »Gefahr« war ja, wenn man sich den Vorrang des πρέ-
πον/^εοοΓυπι> in de off. I,93ff. vor Augen hält, wirklich bei Panaitios gegeben.
Zur <Schultradition> vgl. Pohlenz, Stoa 239-247.
Aus diesen oder vielleicht ähnlichen Schuldiskussionen dürfte die Vorweg-
definition in § 94 stammen.
54 Vgl. Anm. 53 in ds. Kap.
55 D.h. das (Gesamt)ehrenhafte umfaßt die Teiltugenden. Im § 96 gehört aber zum
<honestum> die Definition des übergeordneten <decorum>, zur Einzeltugend die
des Teildecorums. Das ist hier in der ersten <persona> zusammenge-
faßt.
Hans Armin Gärtner
keinen Fall stammen die Definitionen des <generale decorurm von
ihm, weil dort das für das πρέπον charakteristische «In-Erscheinung-
Treten» keine Rolle spielt.
Wenn nun das <decorum> bei allen Tugenden in Erscheinung trat,
entwickelte es sich ja zu einem Rivalen des <honestum> und forderte
so zu einer definitorischen Bestimmung mit der herkömmlichen
stoischen Begrifflichkeit heraus54. Dabei konnte man von Stellen in
der Schrift des Panaitios ausgehen, die etwas über ein <generale
decorum> auszusagen schienen; so vor allem vom § 107. Dort ist die
Rede von den zwei Rollen (personae), die jedem aufgegeben sind.
Die allen gemeinsame Rolle ist bestimmt durch unsere Vernunft-
begabtheit und unseren Vorrang vor den Tieren, von dem alles
Ehrenhafte und Schickliche (<omne honestum decorumgt/e> also
καλόν und πρέπον gleich eingestuft)55 abgeleitet wird, und von wo
man die Methode zum Auffinden der Pflicht zu bekommen sucht.
Die andere Rolle ist unsere individuelle Anlage. Panaitios stellt hier
unsere Vernunftnatur, aus der er die vier Kardinaltugenden abge-
leitet hat (1,14), der individuellen Anlage gegenüber, aber nicht das
allgemeine <decorum> dem speziellen.
Trotzdem konnte man von dieser Stelle zu einer Definition des
<generale decorum> kommen als: <consentaneum hominis excellentiae
in eo, in quo natura eius a reliquis animantibus differat>. Hält man
dagegen, was Panaitios sonst (etwa 1,14) über die Sinnenfälligkeit
des <decorum> gesagt hat, so wird der qualitative Unterschied zwischen
dem πρέπον des Panaitios und der Hilfskonstruktion des <generale
decorum> deutlich.
σωφροσύνη eigentlich hier der Rang gebühre, denn für den (vollkommenen)
stoischen σοφός war nach alter stoischer Lehre das πρέπον - weil in den Bereich
der καθήκοντα gehörend - eigentlich ein άδιάφορον (vgl. Pohlenz, Stoa, 130/1).
Hier dürfte die Schulauseinandersetzung um die Schrift des Panaitios angesetzt
haben und sein Schüler Hekaton versucht haben, die Lehre seines Meisters
dogmatisch abzusichern. Er tat dies mit der Lehre, daß das πρέπον ein έπιγιγνόμε-
νόν des καλόν sei. Dadurch war sichergestellt, daß das πρέπον nicht die alten
Tugenden verdrängte. Diese »Gefahr« war ja, wenn man sich den Vorrang des πρέ-
πον/^εοοΓυπι> in de off. I,93ff. vor Augen hält, wirklich bei Panaitios gegeben.
Zur <Schultradition> vgl. Pohlenz, Stoa 239-247.
Aus diesen oder vielleicht ähnlichen Schuldiskussionen dürfte die Vorweg-
definition in § 94 stammen.
54 Vgl. Anm. 53 in ds. Kap.
55 D.h. das (Gesamt)ehrenhafte umfaßt die Teiltugenden. Im § 96 gehört aber zum
<honestum> die Definition des übergeordneten <decorum>, zur Einzeltugend die
des Teildecorums. Das ist hier in der ersten <persona> zusammenge-
faßt.