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Gärtner, Hans Armin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1974, 5. Abhandlung): Cicero und Panaitios: Beobachtungen zu Ciceros "De officiis" ; vorgel. am 12. Jan. 1974 v. Viktor Pöschl — Heidelberg: Winter, 1974

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https://doi.org/10.11588/diglit.45448#0060
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Hans Armin Gärtner

eine hohe Wertung der δόξα. Hier ist an Platos Zeitgenossen Iso-
krates zu erinnern, der das politische Scheitern seines Schülers
Timotheos (Antidosis §§ 132 u. 134) darauf zurückführt, daß dieser
sich nicht genügend um die δόξα bei den Leuten gekümmert habe.
Auch sonst betont er die Notwendigkeit für den Politiker, sich um
δόξα, εύδοκιμεϊν und δοκεϊν (Antidosis §§ 277-280) zu kümmern.
Für die Römer war es dagegen von altersher infolge politischer
Empirie selbstverständlich, daß zur virtus notwendigerweise die
Anerkennung: <fama>, <honor>, <gloria> gehört5. So sagt Publilius
Syrus V. 266: <iacet omnis virtus, fama nisi late patet>. Cicero6 selbst
hat eine zwiefache Auffassung von <virtus>. In den Reden ist es die
altrömische, im Somnium Scipionis wird unter griechischem Einfluß
die <gloria> relativiert.
Auch das Vorwort zu Tacitus’ Agricola ist in diesem Zusammen-
hang von Bedeutung. Agric. 1,4: Die Zeiten waren den <virtutes> so
grimmig feind, daß Tacitus hätte um Vergebung bitten müssen, wenn
er das Leben des Verstorbenen (Agricola) hätte erzählen wollen.
Statt daß Domitian Agricolas <virtus> anerkennt, haßt er nach des
Tacitus Darstellung (cap. 39) den siegreichen Feldherrn und trachtet
ihm nach dem Leben. Die Anerkennung, die Agricolas <virtus> im
Volk findet, führt seinen Untergang herbei (<sic in ipsam gloriam
praeceps agebatur>) (cap. 41). Freilich hat die <virtus> immer schon um
ihre Anerkennung gegen Ignoranz und Mißgunst kämpfen müssen7,
doch daß die <virtutes> den, der sich ihrer rühmen kann, ins Verderben
führen, ist für Tacitus Kennzeichen völliger Umkehrung der Werte.
Auch daß die <virtus> die Menschen zur Gefolgschaft bewegt, ist
genuin römische Auffassung. So schreibt Livius über den älteren
Scipio XXVI,19,3, daß er nicht nur <veris virtutibus>, sondern auch
durch ein gewisses Arrangement die Bewunderung der Leute gewann.
- Deutlich ist dabei, daß der rechte Weg, die Bewunderung zu ge-
winnen, der über die <verae virtutes> ist.
Als Panaitios das καλόν aus der Ideenwelt und aus dem Bereich
der τέλεια καθήκοντα in die empirisch-psychologische Realität holte,
näherte er sich mit dem Hochschätzen der <approbatio>, obwohl er
von anderen Ausgangspunkten herkam, der altrömischen Auffassung,
5 Vgl. U. Knoche: Der römische Ruhmesgedanke, in: Vom Selbstverständnis der
Römer, Gymnasium Beih. 2, 1962, 23; K. Büchner, Altrömische und Horaz,
virtus, in: Römische Wertbegriffe (1967), S. 380.
6 Vgl. G. Liebers, Virtus bei Cicero, Diss. Leipzig 1944.
7 Sallust, Jug. 10,2; Tacitus, Agr. 1,1.
 
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