VI
Der scheinbare Widerstreit zwischen <honestum>
und <utile>
Was uns nämlich von Panaitios in den ersten beiden Büchern
Ciceros erhalten ist, zeigt, daß der Grieche keineswegs den alter-
nativen Fragestellungen von 1,9 und III,7 entsprechend an konkreten
Beispielen erörtert hat, ob
1) das, worüber man sich schlüssig werden muß, ehrenhaft oder
schändlich und
2) ob das, worüber man berät, nützt oder nicht.
Er hat vielmehr das Wesen des καλόν (1,15) dargestellt und in
seine Teile entfaltet; er hat das πρέπον aus der vierten Kardinal-
tugend herauswachsen lassen und hat es zur Erscheinungsform des
καλόν erhoben (1,93-100); er hat weiter dargelegt, daß sich das
συμφέρον nur mithilfe der <studia hominum> verwirklichen lasse.
Diese <studia hominum> sind - so zeigten wir - nichts anderes als
die <approbatio>, die Reaktion der Menschen auf das In-Erscheinung-
Treten des καλόν/ώοηεβίηην im Kp07tov/<decorum>. Panaitios hat
also diese beiden ersten Alternativfragen nicht direkt beantwortet,
er hat aber dem Fragenden den Wertmaßstab für die beiden ersten
Fragen gegeben und damit auch inhaltlich die dritte Frage ent-
schieden: Wenn nämlich etwas nicht-ehrenhaft = <turpe> ist, folgt
ihm nicht die <approbatio>, und es kann nichts, was <utile> ist, voll-
bracht werden.
Außerdem hat die dritte Frage gegenüber den beiden ersten einen
etwas anderen Charakter. Das wird noch an Ciceros Formulierung
in 11,7 deutlich1. Die beiden ersten Fragestellungen zielen auf ein
Urteil: eine bestimmte Handlung ist <honestum> oder <turpe>, <utile>
oder <inutile>; die dritte Fragestellung zielt hingegen auf eine Methode:
Auf welche Weise muß man entscheiden, wenn das, was ehrenhaft
aussieht, mit dem in Widerstreit hegt, was nützlich erscheint. Es geht
also darum, wie man sich von falschen Kriterien frei macht. Den
1 Vgl. S. 14 mit Anm. 6.
Der scheinbare Widerstreit zwischen <honestum>
und <utile>
Was uns nämlich von Panaitios in den ersten beiden Büchern
Ciceros erhalten ist, zeigt, daß der Grieche keineswegs den alter-
nativen Fragestellungen von 1,9 und III,7 entsprechend an konkreten
Beispielen erörtert hat, ob
1) das, worüber man sich schlüssig werden muß, ehrenhaft oder
schändlich und
2) ob das, worüber man berät, nützt oder nicht.
Er hat vielmehr das Wesen des καλόν (1,15) dargestellt und in
seine Teile entfaltet; er hat das πρέπον aus der vierten Kardinal-
tugend herauswachsen lassen und hat es zur Erscheinungsform des
καλόν erhoben (1,93-100); er hat weiter dargelegt, daß sich das
συμφέρον nur mithilfe der <studia hominum> verwirklichen lasse.
Diese <studia hominum> sind - so zeigten wir - nichts anderes als
die <approbatio>, die Reaktion der Menschen auf das In-Erscheinung-
Treten des καλόν/ώοηεβίηην im Kp07tov/<decorum>. Panaitios hat
also diese beiden ersten Alternativfragen nicht direkt beantwortet,
er hat aber dem Fragenden den Wertmaßstab für die beiden ersten
Fragen gegeben und damit auch inhaltlich die dritte Frage ent-
schieden: Wenn nämlich etwas nicht-ehrenhaft = <turpe> ist, folgt
ihm nicht die <approbatio>, und es kann nichts, was <utile> ist, voll-
bracht werden.
Außerdem hat die dritte Frage gegenüber den beiden ersten einen
etwas anderen Charakter. Das wird noch an Ciceros Formulierung
in 11,7 deutlich1. Die beiden ersten Fragestellungen zielen auf ein
Urteil: eine bestimmte Handlung ist <honestum> oder <turpe>, <utile>
oder <inutile>; die dritte Fragestellung zielt hingegen auf eine Methode:
Auf welche Weise muß man entscheiden, wenn das, was ehrenhaft
aussieht, mit dem in Widerstreit hegt, was nützlich erscheint. Es geht
also darum, wie man sich von falschen Kriterien frei macht. Den
1 Vgl. S. 14 mit Anm. 6.