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Schmidt, Ernst A.; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1974, 6. Abhandlung): Zur Chronologie der Eklogen Vergils: vorgelesen am 27. April 1974 von Viktor Poeschl — Heidelberg: Winter, 1974

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https://doi.org/10.11588/diglit.45449#0054
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Ernst A. Schmidt

und Faune fort, fügt Silvanus hinzu. Eine analoge Lukrezkritik enthält
auch ecl. 10, wo vom auftretenden Pan gesagt wird (v. 26 f.): «quem
vidimus ipsi / sanguineis ebuli bacis minioque rubentem»19. Pan ist
eine Wirklichkeit, die man sehen kann. Auch hier ist Silvanus gegen-
über Lukrez hinzugefügt. Seine Beschreibung (v. 24 f.): «venit et agresti
capitis Silvanus honore, / florentis ferulas et grandia lilia quassans»
ist aber aus Lukrezens Beschreibung Pans entwickelt (Lucr. IV 587):
«pinea semiferi capitis velamina quassans». Während angesichts der
Vielzahl von ländlichen Göttern in den Georgica20 die spezielle Aus-
wahl in Georg. II 494 keine spezifische Notwendigkeit hat bzw. das
Fortlassen der Faune und Satyrn, die Zufügung des Silvanus neben dem
Beibehalten von Pan und Nymphen aus Lukrez nicht sachlich als not-
wendig zu begründen ist, sind die Nymphen und Pan in ecl. 10 von
Theokrits Daphnisidyll und dem Arkadien der Späteklogen her ge-
fordert, haben Satyrn und Faune hier keine Funktion, und der zuge-
fügte Silvanus, zwar sachlich nicht notwendig, verrät den unmittelbaren
Anschluß an Lukrez. Daraus folgt: in Georg. II nennt Vergil die länd-
lichen Götter der zehnten Ekloge, alle in ihr vorkommenden und diese
allein, von der Fülle der sonstigen ländlichen Gottheiten in den Geor-
gica und den Bucolica schweigt er. Er nennt diese Götter allein, weil er
in ecl. 10 im gleichen Sinn Lukrez kritisiert hatte.
So kann als gesichert gelten, daß schon das zweite Georgicabuch erst
dem Abschluß des Eklogenbuches folgt21 und den drei späten Eklogen,
von Vorarbeiten natürlich abgesehen, allein das erste Georgicabuch
(ohne das Proömium) vorausgeht.
Läßt sich ein solches Ineinandergreifen von Bucolica und Georgica
literaturgeschichtlich begreifen? Ich glaube, ja. Die vierte Ekloge war
zunächst ein Abschluß. Das erwachte Interesse an Hesiod, an Lukrez,
am Lehrgedicht, das Interesse des offenbar in diesen Jahren auf Vergil

19 Die Priorität von v. 27 gegenüber Georg. II 430 habe ich oben S. 50 f. wahrschein-
lich zu machen versucht.
20 Vgl. z. B. das Proömium des ersten Georgicabuches (dieses Proömium ist später
als Georg. II), v. 5 ff.: Sonne, Mond, Liber, Ceres, Faune, Dryaden, Neptunus,
Aristaeus, Pan, Minerva, Triptolemus, Silvanus. Von diesen Göttern erscheinen
Georg. II nur Pan, Silvanus und Dryaden (Nymphen). Vgl. R. Kettemann, Bu-
kolik und Georgik, Heidelberg 1975, Kap. III.
21 Berg, a. O., S. 94, Anm. 1 sieht in ecl. 10,36 («aut custos gregis aut maturae vini-
tor uvae») eine Anspielung auf Vergils doppelte Beschäftigung zur Zeit der Ab-
fassung von ecl. 10: nämlich bukolischer und georgischer (sc. Georg. II) Dichter
zu sein.
 
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