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Bulst, Walther [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1975, 1. Abhandlung): Carmina Leodiensia — Heidelberg: Winter, 1975

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https://doi.org/10.11588/diglit.45454#0033
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Carmina Leodiensia

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mitto11. Der letzte von 10 Hexametern des um 1106 zu datierenden
“Notizenbuches” des clm 17142 sagt tot misi, quot sunt pre-
cepta Moysi12. Die angefiihrten Stellen, von der ovidischen angefangen,
haben gemein auch, daB carmina sich auf den Text selbst bezieht, der
aus ihnen besteht, - so wie in Texten liturgischer Hymnen immer
aufs neue verlautet canamus dicamus psallamus canimus psallimus,
indem dies canere dicere psallere geschieht, und wie im Daniel-Spiel
von Beauvais von diesem Spiel selbst die Rede ist13. So ist kein Grund,
anzunehmen, dafi ozrmw im prooem. L sich nicht auf die Orpheus-
Dichtung selbst bezdge.
Der Anfang des prooemium, Carmine qui gaudes, variiert selber
Horat., ep.II ii 59 carmine tu gaudes, hic delectatur iambis', indem
der metrische Begriff iambi metonymisch ein ‘jambisches’ genus bedeu-
tet, war auch carmine hier ais entsprechende Metonymie des metrischen
Begriffes carmen, Hexameter und Pentameter, zu verstehn.
Dieselbe Frage wie an das prooem. L ist aber zu carm.II (4.5) zu
stellen: was ist gemeint mit carmina pauca, pauca tue laudi data car-
mina ? In keinem der carm. I und III-VIII verlauten laudes; ist also
anzunehmen, dafi zwischen fol.5 und 6 (oder 70 und 71) Blatter ver-
loren gegangen seien, die sie enthielten? Sie sind, auf das Hochste ge-
steigert, enthalten in carm.II selbst:
Digna quidem tibi forma, pater, me iudice digna,
Sub cuius totus legibus orbis eat
(sc. tibi [est] forma ..., sub cuius [forme] legibus ...). Auch hier ist
im Text von ihm die Rede: die pauca carmina, “wenigen Verse”, die
der Verfasser “zu schreiben vermbgend war” {que potuit scripsit),
sind eben diese selbst.
Mit carm.II, III prooem. und VIII ist erschdpft, was der Donator
zur Handschrifl ais Verfasser beigetragen hat. Nicht allein die Prosen,
‘Sententiae sapientum’ und anderen, die sie zum allergrofiten Teii fiil-
len, haben ebensoviele verschiedenen Verfasser; auch die iibrigen car-
mina (I. III-VII) sind nicht einem und demselben zuzuschreiben.
11 P. D., Opera poetica, ed. M. Lokrantz, Stockholm [usw.] (1964), (Studia Lat.
Stockholm. XII), nr.LXVII. LXVIII, p.65sq. (Von drei Schreibfingern sprechen
die von Wattenbach, Das Sdhriftwesen, 3. Aufl., 1896, S.283ff. angefiihrten
Texte.)
12 A. Ebel, Clm 17142, Miinchen 1970, (Miinchener Beitrage zur Mediavistik und
Renaissance-Forschung. 6), S.59 nr.57; zur Datierung ebenda S.21ff.
13 Bulst, in “Gegenwart im Geiste”. Festschrift fur Richard Benz, Hamburg 1954,
S.85f.
 
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