26
Walther Bulst
VI
‘Puella ad amicum munera promittentem’ habe ich, noch ohne
Kenntnis von L und P, trotz verschiedenen Bedenken, unter den ‘Lie-
besbriefgedichten Marbods’ aus der ed.pr. herausgegeben17. Gegen
seine Verfasserschaft, woran schon Haureau und noch Wilmart gedacht
hatten18, entscheidet L, ais fur Marbod geschrieben.
Die puella raisonniert (v.7-11) uber das Ausbleiben all des poe-
tisch Versprochenen: Entweder du bist falsch und liebst mich nicht,
sodafi es daher ausgeblieben ist (- wozu dann erst versprochen?
oder hast nichts, sodah es darum ausbleibt (- wozu dann? -). Der Be-
schlufi (v.12.13) ist paradox, indem er das vorige raisonnement eigent-
lich gegenstandslos macht: die Versprechungen beleidigen ihre Liebe.
Die gewandte Versification vermag zu tauschen uber das Ungegliickte
der Erfindung, wahrscheinlich eines Versuches, die ‘casuistische’ Reihe
der Liebesbriefgedichte Marbods19 fortzusetzen.
VII
‘De Victoria Amoris’ hat Bormans miBverstanden. «Le poete y est
en contradiction flagrante avec lui-meme. 11 commence par s’ecrier
que la femme est cause de tout mal sur la terre, et finit par dire, que,
sans 1’amour, toute la nature est morte et que tout doit se soumettre
a sa puissance.»20 Nam ueri florem bis Ignibus ardorem (v.15-17) be-
sagen bloBe Adynata, ebenso Unmdgliches, wie amor unter eine lex
zu zwingen. Mit qui lege etc. (v.l7sq.) werden zwei Auctoritates ein-
gefiihrt: Boethius Quis legem det amantibus? Maior lex amor est sibi
(cons.III m.xii 47sq.) und Vergils omnia uincit amor (ecl.X 69), diese
aber nachgebend: uincat, . mag also”, nicht in ihrem apodiktischem
Wortlaut. Ein Widerspruch ergibt sich durch die Einfuhrung der Auc-
toritates in das uberkommene, misogyne Thema (cf. Ecclus.xxv 33):
Adam ist arte mali, nicht uictus amore in Siinde gefallen2°a.
17 S.290.
18 II p.351: «une petite piece . . qui rappelle fort la maniere de Marbode»; ohne
Einspruch citiert von Wilmart, p.247 ann.2.
19 Vgl. Bulst S.301.
20 p.148; sein MiEverstandnis wiederholte Delbouille, p.239: «que 1’amour est le
maitre du monde.»
20a Zur Geschichte der Auctoritates vgl. P. G. Schmidt, in Antike und Abendland,
XX/1, 1974, 14ff.
Walther Bulst
VI
‘Puella ad amicum munera promittentem’ habe ich, noch ohne
Kenntnis von L und P, trotz verschiedenen Bedenken, unter den ‘Lie-
besbriefgedichten Marbods’ aus der ed.pr. herausgegeben17. Gegen
seine Verfasserschaft, woran schon Haureau und noch Wilmart gedacht
hatten18, entscheidet L, ais fur Marbod geschrieben.
Die puella raisonniert (v.7-11) uber das Ausbleiben all des poe-
tisch Versprochenen: Entweder du bist falsch und liebst mich nicht,
sodafi es daher ausgeblieben ist (- wozu dann erst versprochen?
oder hast nichts, sodah es darum ausbleibt (- wozu dann? -). Der Be-
schlufi (v.12.13) ist paradox, indem er das vorige raisonnement eigent-
lich gegenstandslos macht: die Versprechungen beleidigen ihre Liebe.
Die gewandte Versification vermag zu tauschen uber das Ungegliickte
der Erfindung, wahrscheinlich eines Versuches, die ‘casuistische’ Reihe
der Liebesbriefgedichte Marbods19 fortzusetzen.
VII
‘De Victoria Amoris’ hat Bormans miBverstanden. «Le poete y est
en contradiction flagrante avec lui-meme. 11 commence par s’ecrier
que la femme est cause de tout mal sur la terre, et finit par dire, que,
sans 1’amour, toute la nature est morte et que tout doit se soumettre
a sa puissance.»20 Nam ueri florem bis Ignibus ardorem (v.15-17) be-
sagen bloBe Adynata, ebenso Unmdgliches, wie amor unter eine lex
zu zwingen. Mit qui lege etc. (v.l7sq.) werden zwei Auctoritates ein-
gefiihrt: Boethius Quis legem det amantibus? Maior lex amor est sibi
(cons.III m.xii 47sq.) und Vergils omnia uincit amor (ecl.X 69), diese
aber nachgebend: uincat, . mag also”, nicht in ihrem apodiktischem
Wortlaut. Ein Widerspruch ergibt sich durch die Einfuhrung der Auc-
toritates in das uberkommene, misogyne Thema (cf. Ecclus.xxv 33):
Adam ist arte mali, nicht uictus amore in Siinde gefallen2°a.
17 S.290.
18 II p.351: «une petite piece . . qui rappelle fort la maniere de Marbode»; ohne
Einspruch citiert von Wilmart, p.247 ann.2.
19 Vgl. Bulst S.301.
20 p.148; sein MiEverstandnis wiederholte Delbouille, p.239: «que 1’amour est le
maitre du monde.»
20a Zur Geschichte der Auctoritates vgl. P. G. Schmidt, in Antike und Abendland,
XX/1, 1974, 14ff.