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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1975, 1. Abhandlung): Das Problem der Adelphen des Terenz: vorgetragen am 30. November 1974 — Heidelberg: Winter, 1975

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https://doi.org/10.11588/diglit.45457#0013
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Das Problem der Adelphen des Terenz

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natürlich seine frühere Äußerung vor, aber Micio wehrt elegant mit dem
Sprichwort ab, Freunden sei doch alles gemeinsam. Was sich hier ab-
spielt, ist vollkommen klar: je nach der Situation äußert sich Micio so
oder so, um den aufgeregten Bruder zu beruhigen. Es ist verfehlt, hier
eine bindende Abmachung zu konstruieren, die Micio nicht einhalte,
um ihn so mit einem moralischen Makel zu belasten. Tränkle hat hier
im übrigen einen Vorgänger an Andreas Spengel, der aus dieser Szene
den Schluß zog, daß Micio eine moralische Niederlage erleide. „Nehmts
nicht zu moralisch“, möchte man mit Nietzsche sagen. Es ist im übrigen
ein großer Unterschied, ob man sich einmischt, um ein irreparables
Faktum zu beklagen und den dafür Verantwortlichen zur Rede zu stel-
len, wie Demea es in der Anfangsszene tut, oder ob man wie Micio be-
müht ist, dem Bruder des eigenen Zöglings in seiner Herzensnot, in der
er von dem eigenen Vater keine Hilfe zu erwarten hat, beizuspringen.
Der Versuch Tränkles, Micios Überlegenheit auch im Hauptteil des
Stückes in Zweifel zu ziehen und so die alte Auffassung neu zu begrün-
den, daß beide Brüder gleich abzulehnende Extreme darstellen, muß
demnach als gescheitert gelten. Micio ist dem Demea an Lebensweisheit
und Menschenerfahrung, an liebevollem Verständnis und Herzensgüte
haushoch überlegen. Der Verlauf des Stückes gibt ihm recht und auch am
Schluß kontrastiert Demeas Rachsucht mit Micios Güte.
Aber daß auch er ein Extrem darstellt, wenn auch ein sympathisches,
wie Demea ein unsympathisches, ist richtig. Er ist eine Gestalt, der man
im Grunde Recht gibt, aber zugleich ist er komisch, weil er übertreibt.
Wir sind in einer Komödie, und eine Komödie ist dazu da, daß man über
ihre Figuren lacht. Hören Sie doch, wie Micio auf die Schreckens-
nachricht des Demea und auf den Vorwurf, daß er die sittliche Verderb-
nis des Aeschinus verschuldet habe, reagiert (117ff.):
obsonat potat ölet unguenta: de meo;
amat: dabitur a me argentum dum erit commodum;
ubi non erit, fortasse excludetur foras.
fores effregit: restituentur; discidit
vestem: resarcietur; et — dis gratia —
est unde haec fiant et adhuc non molesta sunt.4

4 Die Stelle hat Cicero in der Rede für Caelius zitiert, um die Libertinage des Ange-
klagten zu rechtfertigen (XVI, 38).
 
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