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Viktor Pöschl
Als Ergebnis bleibt festzuhalten: Micio übertreibt seine Großzügig-
keit schon in dem ersten Gespräch mit Demea, aber nicht, weil hier ein
ebenso falsches Extrem wie das des Demea gezeigt werden soll, sondern
weil in der Optik der Komödie Wahrheit durch Übertreibung vermittelt
wird und es in der Komödie, ich möchte sagen per definitionem, Ideal-
gestalten überhaupt nicht gibt.
Von hier aus eröffnet sich nun auch die Möglichkeit, die burleske
Schlußszene des Stückes anders als bisher zu interpretieren. Auch hier
ist es vor allem auf die Komik abgesehen, wie Wilamowitz richtig be-
tont hat6. Aber es ist nicht so, daß um des Bühneneffektes willen die
Einheit zerstört, die Psychologie mit Füßen getreten und die Gewichte
des Stückes völlig verschoben würden. Micio wird nicht, wie man immer
wieder behauptet, abgewertet und Demea aufgewertet. Man mag zu
dieser Auffassung freilich auch dadurch verführt worden sein, daß in
anderen Komödien die Person, über die man sich am Schluß lustig
macht, diejenige ist, gegen die man schon während des ganzen Stückes
Partei ergriffen hat. Hier aber wird einmal ausnahmsweise die sympathi-
sche Figur verspottet. Es tritt also — von der Bühnenkonvention her ge-
sehen — etwas Überraschendes ein. Damit aber stellt sich der Adelphen-
schluß zu anderen Beispielen, wo die Dichter der Neueren Komödie vom
Gattungsüblichen abweichen, ja die Veränderung gängiger Motive, ge-
läufiger Kunstgriffe und konventioneller Rollencharakteristiken ge-
radezu suchen. A. Thierfelder hat diese Technik in seinem Habili-
tationsvortrag als erster untersucht (Die Motive der Neueren Komödie
im Bewußtsein ihrer Dichter, Hermes 71, 1936, 320flf.). Für die Umge-
staltung typischer Rollen und Motive nennt er u.a. die ironische Über-
spitzung der Rolle des Zufalls, z.B. in den ‘Synaristosoi’, den positiv ge-
sehenen Soldaten in der ‘Perikeiromene’ und im ‘Misoumenos’. Hierher
gehört dann beispielsweise auch die Szene im ‘Truculentus’ des Plautus,
wo Callicles den jungen Liebhaber dazu zu zwingen scheint, das Kind,
das die Hetäre Phronesium sich unterschoben hat und das sein eigenes
ist, zurückzuholen und die Mutter des Kindes zu heiraten. Die Szene
bleibt jedoch wirkungslos. Weder holt der junge Mann sein Kind zu-
rück, noch trennt er sich endgültig von Phronesium. Das geläufige happy-
end wird hier zu einer mehr oder minder geschäftsmäßigen Entscheidung,
die ohne Aufwand an Sentimentalität ins Werk gesetzt wird7.
6 a.a.O. 137.
7 So K. Kruse in seiner demnächst erscheinenden Heidelberger Dissertation „Stu-
dien zum Truculentus des Plautus”. Weiteres bei Handley, Entretiens Fond.
Hardt XVI, 1970, lff.
Viktor Pöschl
Als Ergebnis bleibt festzuhalten: Micio übertreibt seine Großzügig-
keit schon in dem ersten Gespräch mit Demea, aber nicht, weil hier ein
ebenso falsches Extrem wie das des Demea gezeigt werden soll, sondern
weil in der Optik der Komödie Wahrheit durch Übertreibung vermittelt
wird und es in der Komödie, ich möchte sagen per definitionem, Ideal-
gestalten überhaupt nicht gibt.
Von hier aus eröffnet sich nun auch die Möglichkeit, die burleske
Schlußszene des Stückes anders als bisher zu interpretieren. Auch hier
ist es vor allem auf die Komik abgesehen, wie Wilamowitz richtig be-
tont hat6. Aber es ist nicht so, daß um des Bühneneffektes willen die
Einheit zerstört, die Psychologie mit Füßen getreten und die Gewichte
des Stückes völlig verschoben würden. Micio wird nicht, wie man immer
wieder behauptet, abgewertet und Demea aufgewertet. Man mag zu
dieser Auffassung freilich auch dadurch verführt worden sein, daß in
anderen Komödien die Person, über die man sich am Schluß lustig
macht, diejenige ist, gegen die man schon während des ganzen Stückes
Partei ergriffen hat. Hier aber wird einmal ausnahmsweise die sympathi-
sche Figur verspottet. Es tritt also — von der Bühnenkonvention her ge-
sehen — etwas Überraschendes ein. Damit aber stellt sich der Adelphen-
schluß zu anderen Beispielen, wo die Dichter der Neueren Komödie vom
Gattungsüblichen abweichen, ja die Veränderung gängiger Motive, ge-
läufiger Kunstgriffe und konventioneller Rollencharakteristiken ge-
radezu suchen. A. Thierfelder hat diese Technik in seinem Habili-
tationsvortrag als erster untersucht (Die Motive der Neueren Komödie
im Bewußtsein ihrer Dichter, Hermes 71, 1936, 320flf.). Für die Umge-
staltung typischer Rollen und Motive nennt er u.a. die ironische Über-
spitzung der Rolle des Zufalls, z.B. in den ‘Synaristosoi’, den positiv ge-
sehenen Soldaten in der ‘Perikeiromene’ und im ‘Misoumenos’. Hierher
gehört dann beispielsweise auch die Szene im ‘Truculentus’ des Plautus,
wo Callicles den jungen Liebhaber dazu zu zwingen scheint, das Kind,
das die Hetäre Phronesium sich unterschoben hat und das sein eigenes
ist, zurückzuholen und die Mutter des Kindes zu heiraten. Die Szene
bleibt jedoch wirkungslos. Weder holt der junge Mann sein Kind zu-
rück, noch trennt er sich endgültig von Phronesium. Das geläufige happy-
end wird hier zu einer mehr oder minder geschäftsmäßigen Entscheidung,
die ohne Aufwand an Sentimentalität ins Werk gesetzt wird7.
6 a.a.O. 137.
7 So K. Kruse in seiner demnächst erscheinenden Heidelberger Dissertation „Stu-
dien zum Truculentus des Plautus”. Weiteres bei Handley, Entretiens Fond.
Hardt XVI, 1970, lff.