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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1975, 1. Abhandlung): Das Problem der Adelphen des Terenz: vorgetragen am 30. November 1974 — Heidelberg: Winter, 1975

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https://doi.org/10.11588/diglit.45457#0018
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Viktor Pöschl

Freilich beurteilt Demea Micios Motive ganz falsch. Er kann seine Er-
folge nur als Erfolge eines klugen und rückgratlosen Taktikers ver-
stehen, der sich durch Nachgiebigkeit und freundliches Wesen beliebt
macht und sich so ein angenehmes Leben verschafft. Er hält ihn für einen
krassen Egoisten:
sibi vixit, sibi sumptum fecit (865).
sagt er von ihm. Das ist aber falsch. Micio lebt nicht für sich, sondern er
tut alles für Aeschinus. Darum beginnt ja das Stück mit der Sorge um
diesen, und die wunderbare Szene, wo Micio dem Aeschinus weismacht,
daß ein anderer das von ihm geliebte Mädchen heiraten werde — er tut
das, um ihn dafür zu bestrafen, daß er ihn über das Liebesverhältnis nicht
informierte —, zeigt seine väterliche Liebe im hellsten Licht: in dem
Augenblick, wo Aeschinus voll Verzweiflung darüber, daß er das ge-
liebte Mädchen für immer verlieren soll, in bittere Tränen ausbricht,
macht Micio dem grausamen Spiel schnell ein Ende: „Ich weiß alles.
Du darfst heiraten“ (679 ff.).
Auch sonst ist er von enger Selbstbezogenheit weit entfernt. Für die
Not der Sostrata und ihrer Tochter hat er volles Verständnis. Bei ihm
sind Liebe, menschliches Mitgefühl, Güte die beherrschenden Züge.
Der Egoist, den Demea in Micio sieht, ist in Wirklichkeit er selbst. Sein
Urteil ist, wie so oft das Urteil, das wir über andere fällen, nichts anderes
als Selbstdemaskierung. Freilich liebt auch er seinen Sohn. Aber welch
verschiedenen Rang hat die Sohnesliebe im seelischen Flaushalt der bei-
den Brüder! Bei Micio dominiert sie, obwohl er weiß, daß Liebe mit
Leid bezahlt werden muß (38): „Ach daß doch jeder Mensch etwas in
sein Herz schließt oder sich schafft, was ihm teurer ist als er selbst.“
Man erinnert sich an Goethe:
Sei gefühllos.
Ein leicht bewegtes Herz ist ein elend Gut
auf der wankenden Erde.
Dem Micio ist die Liebe wichtiger als die Absicht, sich gegen Gefühle
abzuschirmen, und vor allem ist sie ihm wichtiger als das Geld. Bei De-
mea ist es genau umgekehrt. Das zeigt sich schon in dem ersten Streitge-
spräch. Als Micio zu Demea bemerkt, aus seiner Sorge um Aeschinus
müsse man fast schließen, daß er diesen wieder zu sich nehmen wolle,
weicht Demea mit verräterischer Plötzlichkeit zurück und verspricht,
 
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