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Folgenreich für die Metaphysik bis in ihre idealistische Gestalt ist
die Bestimmung des ersten Prinzips oder des göttlichen Seins in der
'Theologie’ des Aristoteles: nicht nur Geist oder Denken, sondern Den-
ken des Denkens, Selbst-Reflexion zu sein1. Dieser durch neuplatoni-
sche Philosophie und christliche Theologie aspektreich ausgearbeiteten
und umgeformten Konzeption ist Nicolaus Cusanus* wesentlich ver-
bunden. Am Übergang zur Neuzeit war er es, der diesen Grundgedan-
ken philosophischer Theologie vornehmlich in seiner Schrift 'De visione
Dei’ aus dem Jahre 1453 in die höchste, weil der Sache nach differen-
zierteste Ausprägung geführt hat. Dadurch gerade weist er - trotz allem
Unterschied - voraus auf Hegels Dialektik, die wesentlich von dem
Gedanken des sich selbst denkenden Gottes als des Absoluten bestimmt
ist.
I
Schon der Titel der cusanischen Schrift 'De visione Dei’ macht den
zweifachen Aspekt deutlich, unter dem der Gedanke sich als ganzer
entfaltet: Gott selbst sieht, und er wird zugleich gesehen von denen,
die er sieht. Dadurch ist das „Sehen Gottes“ jedoch nicht derart the-
matisiert, daß beide Aspekte sich wie Aktivität und Passivität gegen-
überstünden. Das Sehen nämlich derer, die Gott selbst sieht, als sein
1 Met. 1072b 18ff. 1074b 33ff (vom göttlichen voC<; gesagt): oötöv dpa voei,
eitteq eori tö KQäxiCTTOv, Kai eoTtv f| vör|cri<; vof|0£ax; vöricrn;.
* Die Texte des Cusanus werden nach der kritischen Ausgabe, die seit 1932 „iussu
et auctoritate Academiae Litterarum Heidelbergensis“ (H) erscheint, oder nach
der Pariser Ausgabe des Faber Stapulensis von 1514 (P) zitiert. Nach den Buch-
oder Kapitelangaben ist jeweils Seite oder Paragraph und Zeile dieser Ausgaben
vermerkt. - Die Zitate aus De venatione sapientiae’ folgen der Editio minor
(ed. Wilpert, Phil. Bibi. Meiner 263, Hamburg 1964). Der Erörterung der ange-
zeigten Thematik liegt primär Cusanus’ Schrift 'De visione Dei’ (= vis.) zu-
grunde, da sie die wesentlichen Aspekte des Problems in einem Denkzusammen-
hang deutlich macht. - In den Zitaten aus 'De visione Dei’ sind bei den Zeilen-
angaben die Kapitelnummern oder Überschriften nicht mitgezählt.
Abkürzungen: d.i.:
De docta ignorantia (HI)
coni.:
De coniecturis (HIII)
princ.:
De principio (ed. Feigl-Vaupel-Wilpert, Padua 1960)
non aliud:
Directio speculantis seu De non aliud (H XIII1)
Folgenreich für die Metaphysik bis in ihre idealistische Gestalt ist
die Bestimmung des ersten Prinzips oder des göttlichen Seins in der
'Theologie’ des Aristoteles: nicht nur Geist oder Denken, sondern Den-
ken des Denkens, Selbst-Reflexion zu sein1. Dieser durch neuplatoni-
sche Philosophie und christliche Theologie aspektreich ausgearbeiteten
und umgeformten Konzeption ist Nicolaus Cusanus* wesentlich ver-
bunden. Am Übergang zur Neuzeit war er es, der diesen Grundgedan-
ken philosophischer Theologie vornehmlich in seiner Schrift 'De visione
Dei’ aus dem Jahre 1453 in die höchste, weil der Sache nach differen-
zierteste Ausprägung geführt hat. Dadurch gerade weist er - trotz allem
Unterschied - voraus auf Hegels Dialektik, die wesentlich von dem
Gedanken des sich selbst denkenden Gottes als des Absoluten bestimmt
ist.
I
Schon der Titel der cusanischen Schrift 'De visione Dei’ macht den
zweifachen Aspekt deutlich, unter dem der Gedanke sich als ganzer
entfaltet: Gott selbst sieht, und er wird zugleich gesehen von denen,
die er sieht. Dadurch ist das „Sehen Gottes“ jedoch nicht derart the-
matisiert, daß beide Aspekte sich wie Aktivität und Passivität gegen-
überstünden. Das Sehen nämlich derer, die Gott selbst sieht, als sein
1 Met. 1072b 18ff. 1074b 33ff (vom göttlichen voC<; gesagt): oötöv dpa voei,
eitteq eori tö KQäxiCTTOv, Kai eoTtv f| vör|cri<; vof|0£ax; vöricrn;.
* Die Texte des Cusanus werden nach der kritischen Ausgabe, die seit 1932 „iussu
et auctoritate Academiae Litterarum Heidelbergensis“ (H) erscheint, oder nach
der Pariser Ausgabe des Faber Stapulensis von 1514 (P) zitiert. Nach den Buch-
oder Kapitelangaben ist jeweils Seite oder Paragraph und Zeile dieser Ausgaben
vermerkt. - Die Zitate aus De venatione sapientiae’ folgen der Editio minor
(ed. Wilpert, Phil. Bibi. Meiner 263, Hamburg 1964). Der Erörterung der ange-
zeigten Thematik liegt primär Cusanus’ Schrift 'De visione Dei’ (= vis.) zu-
grunde, da sie die wesentlichen Aspekte des Problems in einem Denkzusammen-
hang deutlich macht. - In den Zitaten aus 'De visione Dei’ sind bei den Zeilen-
angaben die Kapitelnummern oder Überschriften nicht mitgezählt.
Abkürzungen: d.i.:
De docta ignorantia (HI)
coni.:
De coniecturis (HIII)
princ.:
De principio (ed. Feigl-Vaupel-Wilpert, Padua 1960)
non aliud:
Directio speculantis seu De non aliud (H XIII1)