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Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1978, 1. Abhandlung): Visio absoluta: Reflexion als Grundzug des göttlichen Prinzips bei Nicolaus Cusanus ; vorgetragen am 5. 11. 1977 — Heidelberg: Winter, 1978

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https://doi.org/10.11588/diglit.45467#0018
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Werner Beier w altes

Sehen aus der ihm eigenen Perspektive her immer nur auf Bestimmtes
fixiert und bekommt dieses auch nicht als Ganzes zu Gesicht; auch im
Blick auf das Absolute sieht es dieses nicht an ihm selbst, d.h. so wie
es selbst das All-Sehende (cuncta videns) ist, sondern immer nur in
negativer Ausgrenzung - conjectural. - Aus der Tatsache, daß der Blick
Gottes im Bilde auch bei dem bleibt, der seine Perspektive auf ihn hin
verändert, soll ferner deutlich werden, daß der wirkliche Blick des wirk-
lichen Gottes er selbst bleibt, aber zugleich als jeweils anderer oder
wandelbarer erscheint; in sich selbst ist er die paradoxe Einheit von
UnVeränderlichkeit und Veränderung, von Bewegung und Stillstand als
ständige Bewegung oder bewegte Ständigkeit. Dem endlichen scheint
der absolute Blick sich zu verändern, in sich jedoch bleibt dieser, trotz
seines „Außersichseins“, der er ist8. Im Bilde also deutet sich bereits
die noch zu erörternde Verschränkung von Transzendenz und Imma-
nenz des göttlichen Prinzips an.
Der Sache nach differenziert Cusanus das absolute Sehen zunächst
von der Metapher facies und dem Begriff forma her. Im Sehen Gottes
wird nicht dessen Blick „isoliert“; dieser ist vielmehr das im „Ange-
sicht“ Bestimmende: visus tuus ... est facies tua9. Als solcher das
Angesicht bestimmende Blick kann er auch mit der Gestalt (forma)
identisch gedacht werden; dies freilich nicht im Sinne eines dem Äuße-
ren analogen Aussehens, sondern des aktiven Gestaltens. Absoluta forma
als eine, die frei ist von jeder kategorial faßbaren contractio, wird zum
bestimmenden Maß für alles, was durch sie selbst Anderes als sie
selbst für sich ist10. Im Begriff der absolut gestaltenden Gestalt ist also
der Sein-konstituierende Aspekt des absoluten Sehens erfaßt; dieser
weist primär aus sich heraus: Sehen als principium ex quo omnia11.
Die konstitutive oder Creative Funktion des Sehens ist aber erst auf
dem Grund eines „inneren“ Sehens zureichend verstehbar. Ansatzpunkt
hierfür mag der auch für 'De visione Dei’ bestimmende Versuch sein,
die Voraussetzung und den Vorgang der creativen Entäußerung des
Prinzips in der begrifflichen Polarität von complicatio und explicatio
(Umfassung, Einfaltung und Entfaltung) zu denken12. Die hierzu gehö-
8 praef. 99 r 34. 3; 100 v 2 ff. Die gegenseitig sich auslegende Identität der Aussagen
charakterisiert die Methode als eine 'theologia circularis’ (oder 'in circulo’: d.i.
I 21; 44,4. vis. 3; 100 r 3f). Vgl. auch unten S. 11. 25.
9 6; 101 r 28.
‘0 6; 101 r 13ff. 103 r 24.
11 7; 101 v27f.
12 2; 99 v 32ff. 10; 104 r 17. 11; 104 v lOf. d.i. II 3; 69,9ff. possest 8,19ff. Diese
Terminologie ist nicht erst seit der platonischen Schule von Chartres geläufig
 
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