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Werner Beierwaltes
oder Nicht-Sein der Gegensätze als solcher jedoch gemeint sein muß.
Deshalb intensiviert die Metapher den aus dem proklischen Parmenides-
Kommentar überzeugenden Gedanken, daß die Einheit des Prinzips
vor und über jedem Gegensatz62 sei und als Gegensatz zu den Gegen-
sätzen oder als Grund von Gegensätzlichkeit diese gerade als Nicht-
Gegensatz (oppositio sine oppositione) impliziere63. Die Sichselbst-
gleichheit des Prinzips (aequalitas absoluta) negiert die Gegensätze in
sich oder hat sie „immer schon“ aufgehoben64.
Diese Intensivierung der Transzendenz des Absoluten durch die ge-
nannte Metaphorik kann freilich weder die auf Relationalität gründende
Reflexivität des Prinzips noch dessen Entäußerung in oder als Welt
mitaufheben. Sie gibt aber einen Hinweis darauf, daß der Versuch eines
„Sehens Gottes“ vom Bereich des Endlichen her dieses nicht selbst
verendlichen dürfe, sondern nur durch die Negation dessen, was dem
endlichen Denken eigen ist, ermöglicht ist; dem Un-Endlichen oder
Absoluten kann es sich, freilich in einem uneigentlichen, die eigenen
Bedingungen nicht aufhebenden Sinne, nur nähern, indem es dieses
„nicht-berührend oder nicht-erkennend berührt“ oder „nicht-begreifend
begreift“ 65. Das unter der Bedingung des Endlichen lediglich conjecturale
Sehen des absoluten Sehens selbst - in speculo et in aenigmate - setzt
zum einen den bis zu jener „Mauer“ reichenden Begriff voraus, zum
andern aber auch die Intention, durch den Begriff über den Begriff und
damit über alle begrenzte, als Etwas bestimmte Formen und Gestalten
hinauszugehen: formas transilire et omnes figuras, transcendere om-
nes conceptus66. Das endliche, auf die Bestimmtheit und Begrenztheit
des Etwas-Seienden bezogene Denken ist dem Begreifen des Absoluten
als des absoluten Begriffs unangemessen. Das Bewußtsein hiervon ver-
mag das Denken zu erwecken, wenn es i n der Reflexion auf seine eige-
nen Möglichkeiten den ihm an sich transzendenten, in ihm dennoch
wirkenden Grund entdeckt: das 'Eine in uns’ als unseren Begriff des
Einen an sich67. Dieses ist das zwar ungenau wissende, aber dennoch
62 princ. 34,23f: supra omnia opposita. ven. sap. 13; n 35. Schon in d.i. I 4; 10,27.
63 vis. 13; 105 v 25.
64 princ. 36,5f: principium videtur in oppositorum aequalitate.
65 d.i. I 4; 10,6: veritas infinita, quam incomprehensibiliter attingimus. non aliud
8; 18, lff.
66 vis. 6; 101 r 45 f. 101 v 12: ... quando omnem scientiam et conceptum transilit
(inaccessibilis lux als caligo, tenebrae).
67 princ. 26,3-6 (conceptus ut de uno). 29,9. 39,6ff. Cusanus folgt dem für Proklos
zentralen Gedanken, das Eine sei uns zugänglich als 'unum in nobis’ oder
Werner Beierwaltes
oder Nicht-Sein der Gegensätze als solcher jedoch gemeint sein muß.
Deshalb intensiviert die Metapher den aus dem proklischen Parmenides-
Kommentar überzeugenden Gedanken, daß die Einheit des Prinzips
vor und über jedem Gegensatz62 sei und als Gegensatz zu den Gegen-
sätzen oder als Grund von Gegensätzlichkeit diese gerade als Nicht-
Gegensatz (oppositio sine oppositione) impliziere63. Die Sichselbst-
gleichheit des Prinzips (aequalitas absoluta) negiert die Gegensätze in
sich oder hat sie „immer schon“ aufgehoben64.
Diese Intensivierung der Transzendenz des Absoluten durch die ge-
nannte Metaphorik kann freilich weder die auf Relationalität gründende
Reflexivität des Prinzips noch dessen Entäußerung in oder als Welt
mitaufheben. Sie gibt aber einen Hinweis darauf, daß der Versuch eines
„Sehens Gottes“ vom Bereich des Endlichen her dieses nicht selbst
verendlichen dürfe, sondern nur durch die Negation dessen, was dem
endlichen Denken eigen ist, ermöglicht ist; dem Un-Endlichen oder
Absoluten kann es sich, freilich in einem uneigentlichen, die eigenen
Bedingungen nicht aufhebenden Sinne, nur nähern, indem es dieses
„nicht-berührend oder nicht-erkennend berührt“ oder „nicht-begreifend
begreift“ 65. Das unter der Bedingung des Endlichen lediglich conjecturale
Sehen des absoluten Sehens selbst - in speculo et in aenigmate - setzt
zum einen den bis zu jener „Mauer“ reichenden Begriff voraus, zum
andern aber auch die Intention, durch den Begriff über den Begriff und
damit über alle begrenzte, als Etwas bestimmte Formen und Gestalten
hinauszugehen: formas transilire et omnes figuras, transcendere om-
nes conceptus66. Das endliche, auf die Bestimmtheit und Begrenztheit
des Etwas-Seienden bezogene Denken ist dem Begreifen des Absoluten
als des absoluten Begriffs unangemessen. Das Bewußtsein hiervon ver-
mag das Denken zu erwecken, wenn es i n der Reflexion auf seine eige-
nen Möglichkeiten den ihm an sich transzendenten, in ihm dennoch
wirkenden Grund entdeckt: das 'Eine in uns’ als unseren Begriff des
Einen an sich67. Dieses ist das zwar ungenau wissende, aber dennoch
62 princ. 34,23f: supra omnia opposita. ven. sap. 13; n 35. Schon in d.i. I 4; 10,27.
63 vis. 13; 105 v 25.
64 princ. 36,5f: principium videtur in oppositorum aequalitate.
65 d.i. I 4; 10,6: veritas infinita, quam incomprehensibiliter attingimus. non aliud
8; 18, lff.
66 vis. 6; 101 r 45 f. 101 v 12: ... quando omnem scientiam et conceptum transilit
(inaccessibilis lux als caligo, tenebrae).
67 princ. 26,3-6 (conceptus ut de uno). 29,9. 39,6ff. Cusanus folgt dem für Proklos
zentralen Gedanken, das Eine sei uns zugänglich als 'unum in nobis’ oder