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Beierwaltes, Werner; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1978, 1. Abhandlung): Visio absoluta: Reflexion als Grundzug des göttlichen Prinzips bei Nicolaus Cusanus ; vorgetragen am 5. 11. 1977 — Heidelberg: Winter, 1978

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https://doi.org/10.11588/diglit.45467#0040
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Werner Beierwaltes

sehe Theologik zentrale Gedanke, daß der Gott sich selbst denke.
Hegel hat Cusanus nicht gekannt; so ist eine unmittelbare Konfron-
tation der beiden Denkstrukturen nicht möglich. Wenn aber dennoch
deren Verbundenheit in den Blick kommen soll, dann kann die aristote-
lische Form des explizierten Gedankens oder seine neuplatonische Um-
formung sachlich legitim auch als Vermittlung cusanischen und hegel-
schen Denkens angenommen werden. Dabei könnte evident werden,
daß die sachliche Kontinuität Hegels zum ausgehenden Mittelalter -
gerade aufgrund des Geist-Begriffes - stärker und konsequenzenreicher
ist als es Hegels eigene „Siebenmeilenstiefel“ geschichtsphilosophisch
suggerieren, die er anlegt, um über die „zweite Periode“ der Geschichte
der Philosophie möglichst schnell hinwegzukommen.
Ohne den für die hegelsche Dialektik substantiellen Gedanken des
Zu-sich-selbst-Kommens des Absoluten nivellierend stillzustellen, kann
als aristotelische und hegelsche Intention gelten, daß sie das göttliche
Absolutum als ein sich denkendes, im Selbst-Begriff sich zu sich selbst
verhaltendes Sein und dies heißt: als absolute Reflexion begreifen. Die
Selbstanknüpfung an die Spitze der aristotelischen Theo-Logik zeigt
Hegel u. a. darin an, daß er am Ende seiner „Enzyklopädie“ jene Stelle
der aristotelischen Metaphysik 104 ohne weitere Erläuterung als grie-
chischen Text zitiert, die das Selbstdenken des Gottes zum Inhalt hat.
Das Verbindende dieser Stelle zum telos von Hegels eigener Gedanken-
entwicklung scheint mir nicht so sehr die „lustvolle theoria“ zu sein104 105,
104 1 072 b 18-30.
105 M. Theunissen, Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer
Traktat, Berlin 1970, 326. - Der Übergang von Cusanus zu Hegel kann von der
geschichtlichen Entfaltung des Problems her als ein „Sprung“ erscheinen. Wollte
man es zumindest von der Metaphorik des Sehens her weiter verfolgen, so wäre
neben Giordano Bruno (vgl. z. B. Spaccio, Dial. It. ed. Aquilecchia 649: „ein
Auge, welches sich selber Licht ist, ein Licht, welches sich selber Auge ist“),
Leibniz und Schelling (VI 198. VII 360f. 363) besonders Jacob Boehme zu be-
denken. Vgl. z. B. Mysterium Magnum c. 1,7 (VII 6 W. E. Peuckert): „Ein Auge
des ewigen Sehens“, de signatura rerum c. 3,2 (VI 1,18): das „Nichts“ (Gottes),
„das ist ein Auge der Ewigkeit, ein ungründlich Auge“, de incarnatione verbi
2. Teil, c. 1,8 (IV 121): der Ungrund als Auge, das sein eigener Spiegel ist. Sex
puncta theosophica 1,1,9 (IV 2,4f): im Sehen Gottes ist die Natur verborgen;
das Sehen „erscheint aus dem Geiste“, welches sein Auge und Spiegel ist (ebd.
12, S. 5). - Die transzendentale Transformation in das Ich als absolutes Wis-
sen, eine in sich zurückgehende Tätigkeit, in der Tätigkeit und Produkt iden-
tisch sind, ist „das freie Licht, das sich erblickt, als seiendes“ (J. G. Fichte,
Darstellung der Wissenschaftslehre [1801], Werke II 31).
 
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