Bocksbeutel und Aryballos
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der <Bocksgesang> der Tragödie seinen Namen bezogen haben soll, wie
immer man diese Bezeichnung im einzelnen deuten mag, worüber es
bekanntlich eine ganze Literatur gibt.19 So war der Bocksbeutel
gleichsam in eine höhere Sphäre gehoben, indem man nun nicht mehr
bloß «auf den realen Vergleich der Flaschenform mit dem Bocksbeutel,
sondern auch auf Reminiszenzen an den Bockskult der weinfrohen
Alten» insistierte20.
«Turget capri saculus —
Bockes Beutel glüht und schwillt»,
das sind die nicht gerade geschmackvollen Verse von Felix Dahn. Ein
anderes Zitat lautet: «Die für den Frankenwein bezeichnende Flaschen-
form des <Bocksbeutels> wirkt für jeden Kundigen wie eine uralte
Fruchtbarkeitsmythe aus der Ewigkeit des Weingottes in unseren
weithin entgötterten Tag hinüber», so hat sich ein begeisterter Franke
unlängst in dithyrambischem Ton vernehmen lassen21. Auch der einst in
Würzburg studierende ehemalige Abt des Benediktinerklosters Ettal
schreibt dem Gefäß eine «Sinnbildhaftigkeit für Lebenskraft und
Lebensfülle» zu22, eine noch mehr ins allgemeine gehobene Chiffre, die
jedoch ihren dionysischen Charakter nicht verleugnen kann.
Kein Zweifel also, die aus dem Formvergleich mit dem zum Kult-
symbol erhobenen Beutel des Bockes sich nährende Metapher beherrscht
19 Das Wichtigste ist verzeichnet in einer neueren dem Thema gewidmeten Abhand-
lung von Walter Burkert, Greek Tragedy and Sacrificial Ritual. In: Greek,
Roman, and Byzantine Studies 7. 1966, S. 87 ff. Jetzt hat O. Szemerenyi im Her-
mes 103. 1975, S. 329 f. die Auffassung vertreten, das Wort rgaycoö-og gehe
letztlich auf hethitisch tarkuwant, der <Tänzer>, zurück (aus welchem Be-
reich dann natürlich auch die Sache selber zu den Griechen gewandert sein müsse!),
und aus der davon abgeleiteten Tgaycoöia sei dann erst volksetymologisch im
Vergleich mit xcoptpöia die dann als <Bocksgesang> erklärte rpay-roÖla geworden.
20 Das Zitat wörtlich nach ]u>ng 38. Derselbe formuliert noch deutlicher seine Über-
zeugung, daß der <Bocksbeutel> «mit dem Bockskult der weinfrohen Alten in
einem urtümlichen Zusammenhang steht», in einem Aufsatz «Kleine Bocksbeutel-
kunde» in: Der Weinfreund, Jg. 1975, H. 3. An eine «metaphorische Bezeichnung»
hat beim Bocksbeutel auch schon Rud. Meringer gedacht (Die ältesten Gefäße. In:
Wörter und Sachen 7. 1921, S. 1 ff., hier S. 5 f; er versucht in diesem Zusam-
menhang sogar, die Sphären des <Buchbeutels> und des <Bocksbeutels> in etwas
abenteuerlicher Weise miteinander zu verbinden.
21 Anton Dörfler, Fruchtbarkeitsmythe aus Ewigkeit. In der Sonderbeilage zur
Würzburger Mainpost vom 16. 3. 1955, S. 4.
22 P. Dr. Karl Groß brieflich 17. 5. 1974.
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der <Bocksgesang> der Tragödie seinen Namen bezogen haben soll, wie
immer man diese Bezeichnung im einzelnen deuten mag, worüber es
bekanntlich eine ganze Literatur gibt.19 So war der Bocksbeutel
gleichsam in eine höhere Sphäre gehoben, indem man nun nicht mehr
bloß «auf den realen Vergleich der Flaschenform mit dem Bocksbeutel,
sondern auch auf Reminiszenzen an den Bockskult der weinfrohen
Alten» insistierte20.
«Turget capri saculus —
Bockes Beutel glüht und schwillt»,
das sind die nicht gerade geschmackvollen Verse von Felix Dahn. Ein
anderes Zitat lautet: «Die für den Frankenwein bezeichnende Flaschen-
form des <Bocksbeutels> wirkt für jeden Kundigen wie eine uralte
Fruchtbarkeitsmythe aus der Ewigkeit des Weingottes in unseren
weithin entgötterten Tag hinüber», so hat sich ein begeisterter Franke
unlängst in dithyrambischem Ton vernehmen lassen21. Auch der einst in
Würzburg studierende ehemalige Abt des Benediktinerklosters Ettal
schreibt dem Gefäß eine «Sinnbildhaftigkeit für Lebenskraft und
Lebensfülle» zu22, eine noch mehr ins allgemeine gehobene Chiffre, die
jedoch ihren dionysischen Charakter nicht verleugnen kann.
Kein Zweifel also, die aus dem Formvergleich mit dem zum Kult-
symbol erhobenen Beutel des Bockes sich nährende Metapher beherrscht
19 Das Wichtigste ist verzeichnet in einer neueren dem Thema gewidmeten Abhand-
lung von Walter Burkert, Greek Tragedy and Sacrificial Ritual. In: Greek,
Roman, and Byzantine Studies 7. 1966, S. 87 ff. Jetzt hat O. Szemerenyi im Her-
mes 103. 1975, S. 329 f. die Auffassung vertreten, das Wort rgaycoö-og gehe
letztlich auf hethitisch tarkuwant, der <Tänzer>, zurück (aus welchem Be-
reich dann natürlich auch die Sache selber zu den Griechen gewandert sein müsse!),
und aus der davon abgeleiteten Tgaycoöia sei dann erst volksetymologisch im
Vergleich mit xcoptpöia die dann als <Bocksgesang> erklärte rpay-roÖla geworden.
20 Das Zitat wörtlich nach ]u>ng 38. Derselbe formuliert noch deutlicher seine Über-
zeugung, daß der <Bocksbeutel> «mit dem Bockskult der weinfrohen Alten in
einem urtümlichen Zusammenhang steht», in einem Aufsatz «Kleine Bocksbeutel-
kunde» in: Der Weinfreund, Jg. 1975, H. 3. An eine «metaphorische Bezeichnung»
hat beim Bocksbeutel auch schon Rud. Meringer gedacht (Die ältesten Gefäße. In:
Wörter und Sachen 7. 1921, S. 1 ff., hier S. 5 f; er versucht in diesem Zusam-
menhang sogar, die Sphären des <Buchbeutels> und des <Bocksbeutels> in etwas
abenteuerlicher Weise miteinander zu verbinden.
21 Anton Dörfler, Fruchtbarkeitsmythe aus Ewigkeit. In der Sonderbeilage zur
Würzburger Mainpost vom 16. 3. 1955, S. 4.
22 P. Dr. Karl Groß brieflich 17. 5. 1974.