Metadaten

Hommel, Hildebrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1978, 2. Abhandlung): Bocksbeutel und Aryballos: philologischer Beitrag zur Urgeschichte einer Gefäßform ; vorgetr. am 9. Juli 1977 — Heidelberg: Winter, 1978

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45468#0016
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
14

Hildebrecht Hommel

Vittorio de Sica («Und dennoch leben wir») bietet eine säugende
Mutter, deren Kind der Krieg getötet hat, mit entblößter Brust den
Flüchtlingen ihre Milch an. Aber aus den Mastoi wird man eher Wein
getrunken haben als Milch, was schon die meist dem dionysischen
Bereich entstammenden figürlichen Darstellungen auf dieser Vasen-
gattung nahelegen. Erinnern mag man sich dabei vielmehr an die
Zeichnung von Eugen N. Neureuther aus dem Jahr 184430, wo unter
dem Motto «Jung gewohnt — alt gethan» ein Zwillingspaar sich an
der Mutter Brust labt, um dann in der Rolle erwachsener Trinker vor
dem Weinfaß liegend seinen Durst zu löschen, wie ja auch ein Sprich-
wort den Wein als die Milch der Alten bezeichnet31. Und Aristophanes
hat in einem hübschen Vers den Wein die Milch der Aphrodite
genannt32, wobei wir an das christliche Pendant der <Liebfrauenmilch>
denken mögen. Jedoch gibt all das noch nicht den Schlüssel zu der
mit den Mastoi gemeinten Symbolik. Daß eine solche hinter der merk-
würdigen Vasenform steht, mögen jene Gebilde nun als Weihgaben
oder zum Gebrauch der Menschen gedient haben, das darf wohl kaum
bezweifelt werden. Eine ähnliche Verwendung wie bei der vorhin
besprochenen Gattung, als Liebesgeschenke, dann aber doch wohl
auch im zweigeschlechtlichen Umgang, — etwa mit Hetären — dürfte
nicht auszuschließen sein (dies auch die Meinung von E. Simon).
In unserem Zusammenhang jedoch, bei der Erklärung der Herkunft
des <Bocksbeutels>, — das sei noch einmal nachdrücklich betont — hat
der Gedanke an irgendwelche dionysische oder sonstwo hergeholte
Symbolik ganz auszuscheiden. Vielmehr lautet meine These, die ich im
folgenden von verschiedenen Seiten her erhärten will, daß die Bezeich-
nung der Bocksbeutelflasche überhaupt nicht auf Vergleich und
Metapher oder auf Symbolik beruht, sondern auf eine ursprünglich
bestehende Identität zurückweist33. Zugleich wird sich ergeben, daß
wir dabei mit Bedauern auch vom dionysischen Ziegenbock zugunsten

30 £. K. Bredt, Neureuther . . . (1918) S. 7.
31 Lothar Schmidt, Das große Handbuch geflügelter Definitionen 1971, S. 498.
32 Aristophanes, Fr. 543 K. f]öüg ye nivEiv olvog ’Acppoöirr]c: yoAa. Vgl. Gertr.
Herzog-Hauser, P.-W. RE XV 1932, Sp. 1579.
33 Ich finde diese meine These freilich da und dort schon früher kurz und knapp
formuliert, so bei Kluge-Götze a. O. unter <Bocksbeutel> 1, wo es heißt: «Würz-
burger Edelwein nach der Form der Flaschen, einst dem Hodensack eines Bockes
nachgebildet, der in ältester Zeit zum Aufbewahren von Flüssigkeit gedient hat».
Dem scheint sich mit noch gedrängterer Charakterisierung anzuschließen Lutz
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften