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Hommel, Hildebrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1978, 2. Abhandlung): Bocksbeutel und Aryballos: philologischer Beitrag zur Urgeschichte einer Gefäßform ; vorgetr. am 9. Juli 1977 — Heidelberg: Winter, 1978

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https://doi.org/10.11588/diglit.45468#0033
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Bocksbeutel und Aryballos

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geht dabei an der für uns wichtigen Stelle darum, sich ein geschlossenes
und zugleich detailliertes Bild eines kriminellen Vorgangs tief ins Ge-
dächtnis einzuprägen, damit man es als Ankläger vor Gericht bei seinen
Ausführungen so deutlich vor Augen hat, daß man die einzelnen Züge
gleichsam daraus ablesen kann, um sie in seiner Rede zu verwenden;
oder besser: man wird die vorbereitete und zu memorierende Rede
dem Vorgang so anpassen, daß man dessen eingeprägtes Bild wie ein
Konzept vor Augen hat, als Garantie dafür, daß man keinen Einzelzug
zu erwähnen vergißt. Überdies sollen einzelne markante Gegenstände
des Bildes nach Möglichkeit mit ihren Namen rein lautliche (wir sagen
<mnemotechnische>) Hinweise auf weitere Gesichtspunkte geben, die
man in der Rede nicht übersehen darf. Das ausgeführte Beispiel eines
solchen geschlossenen Bildes wird mit knappen Worten, aber immerhin
so klar erläutert und entwickelt, daß wir am besten gleich den Auctor
ad Herennium selber hören; ich gebe die Partie im Anschluß an die
deutsche Übersetzung von Herwig Blum92:
«Angenommen der Ankläger habe behauptet, vom Angeklagten sei
ein Mann vergiftet worden, und er habe ihn beschuldigt, es wegen der
Erbschaft getan zu haben, und gesagt, für diese Tat gebe es viele Zeugen
und Mitwisser; wenn wir das als Erstes, damit es uns zur Verteidigung
[gemeint ist wohl: zur Anklage] leicht verfügbar ist, im Gedächtnis
behalten wollen, werden wir an der ersten Stelle ein Bild der gesamten
Sache gestalten; wir werden uns ebendenselben, um den es geht, krank
im Bett liegend vorstellen, . . . Den Angeklagten werden wir dicht
neben sein Bett stellen, mit der Rechten den Becher (poculum), mit
der Linken die Tafeln (tabulas), mit dem Ringfinger (der gleichen
Hand) testiculos arietinos (wörtlich <Schafbockshoden>) haltend:
auf diese Weise werden wir Erinnerung an die Zeugen (testium
memoriam), an die Erbschaft und an den Vergifteten haben
können.» Soweit der Lateiner.
Es kann kein Zweifel darüber sein: das Bild stellt einen Erb-
schleicher dar, der unter dem Vorwand, sich pflegend um den Kranken
zu bemühen, ihm Gift darreicht und sich zugleich das Testament auf
sein Schreibtäfelchen diktieren läßt, wobei er es sicherlich zu seinen

92 Auctor ad Herennium III 33; H. Blum, a. O. 17f. Der für uns entscheidende
Schlußpassus der Stelle lautet auf lateinisch: Et reum ad lectum eius
adstituemus, dextera poculum, sinistra tabulas, medico
testiculos arietinos tenentem: hoc modo et testium et
hereditatis et veneno necati memoriam habere poterimus.
 
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