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Hommel, Hildebrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1978, 2. Abhandlung): Bocksbeutel und Aryballos: philologischer Beitrag zur Urgeschichte einer Gefäßform ; vorgetr. am 9. Juli 1977 — Heidelberg: Winter, 1978

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https://doi.org/10.11588/diglit.45468#0036
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Hildebrecht Hommel

So wäre denn auf verschiedenen Wegen die Erkenntnis gewonnen,
die sich leicht auch auf unseren fränkischen <Bocksbeutel> übertragen
läßt, daß im griechischen wie im römischen Bereich eine besondere Art
kleiner Flaschen in Gebrauch war, die ihren ominösen Namen einer
Naturform verdankt; diese hatte sich früh zur Verwendung angeboten
und lebte da und dort auch noch in ihrer Urgestalt weiter, als sie Form
und Namen längst an keramische oder gläserne Nachbildungen weiter-
gegeben hatte.
Ich bin mir seit langem bewußt, daß mir, wenn ich die Unter-
suchungen des Phänomens bis hierher geführt haben würde, vom
Standpunkt einer gesunden Skepsis aus immer noch könnte entgegen-
gehalten werden, dies alles sei am grünen Tisch des Philologen ausge-
klügelt und entbehre der praktischen Überprüfung. So habe ich denn
seit Jahrzehnten versucht, mir ein Exemplar jenes Urproduktes zu
verschaffen, um damit die Probe aufs Exempel zu machen101. Das war
zumindest in unseren Gegenden gar nicht so leicht wie anfangs ver-
mutet, da ja hierzulande nicht wie im Balkan Bocks- und insbesondere
Hammelhoden als eine zugleich gesundheitsfördernde Delikatesse auf
den Markt kommen, um dann leicht gegrillt oder in Olivenöl gebacken
verzehrt zu werden102. Meine wiederholten Vorstöße bei Zoologen,
Konservatoren, Schlachthöfen und Tierärzten führten zu keinem
Erfolg, wie man mir verriet vor allem deshalb, weil unsere Körgesetze
vorschreiben, daß ein Zuchtbock, der aus dem Verkehr gezogen wird,
zu kastrieren sei, damit er sein Geschäft nicht sozusagen auf dem
Schwarzmarkt fortführen könne. Endlich vor einigen Jahren gelang es
der mir befreundeten ehemaligen Tierärztin, Frau Dr. Barbara
Hofmann in Owen unter Teck, mit Hilfe der dort ansässigen Inhaberin
eines Metzgereibetriebes, Frau Martha Kerner, mir nacheinander einen
ausgewachsenen Widderhoden und denselben Körperteil eines jungen
Ziegenbockes zu beschaffen.
Der inzwischen verstorbene Oberpräparator des Tübinger Zoologi-
schen Universitätsinstituts Herr Werner Jonasson ließ sich für mein
Vorhaben erwärmen und hat mit Passion und großem Geschick die
Probe angestellt, jene Hodensäcke zu reinigen, zu gerben und durch
101 Diskussionsbeitrag von Konrad Gaiser: der verstorbene Wolfgang Schadewaldt
sprach in diesem Zusammenhang von «experimenteller Philologie».
102 Der Tierarzt Dr. Gernot Stenge/- Tübingen weist mich darauf hin, daß unter der
Bezeichnung «spanische Nieren» in der Schweiz sogar Stierhoden als Delikatesse
angeboten werden.
 
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