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Hommel, Hildebrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1978, 2. Abhandlung): Bocksbeutel und Aryballos: philologischer Beitrag zur Urgeschichte einer Gefäßform ; vorgetr. am 9. Juli 1977 — Heidelberg: Winter, 1978

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https://doi.org/10.11588/diglit.45468#0039
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Bocksbeutel und Aryballos

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(also in der Längsrichtung) aufgeschlitzt war und nach oben zu
symmetrisch so zugeschnitten wurde, daß der zur Aufnahme der Öse
für den Tragriemen bestimmte Vorsprung herauskam, und weiterhin
so, daß das Gefäß nach oben zu immer enger wurde, was das sparsame
Ausschütten des jeweils benötigten Pulvers auf die Gewehrpfanne
erleichterte und überdies einen sichereren Verschluß anzubringen
erlaubte. Dann wurden die beiden so geformten Lappen wieder
vernäht (Abb. 24). Natürlich geschah diese Manipulation vorwiegend
aus praktisch-technischen Gründen; aber es mag sein, daß man wegen
des leichten Reißens oder Springens der Haut im Bereich der raphe
scroti sozusagen aus der Not eine Tugend machte und gerade hier
den Schnitt verlaufen ließ. Zu dem beschriebenen Pulverbehälter, der
starker Abnützung ausgesetzt war, konnte nur der aus besonders zäher
und wiederstandsfähiger Haut bestehende Kamelhodensack verwendet
werden; das entsprechende Organ vom Widder und Ziegenbock war
dazu viel zu dünnwandig105. Immerhin haben wir hier eine bis in die
heutige Zeit reichende, ja erst seit einigen Jahrhunderten überhaupt
denkbare Verwendung von Tierhodensäcken als Behälter, was für
unsere These doch eine gewisse Stütze bedeutet. Daß man in Vorder-
asien dabei auf dieses vom Haustier gelieferte Material verfiel, kann
übrigens sehr wohl durch eine lange Zeit vorangehende Verwendung
der scrota kleinerer Tierarten im Sinne unseres <Aryballos> angeregt
worden sein. Aber auch abgesehen von solchen denkbaren und nahe-
liegenden Parallelen möchte ich meinen, mit dem geglückten Versuch,
einen Aryballos-Schafbocksbeutel in der Urform nachzubauen, sei
meinem Beweisverfahren sozusagen der Schlußstein eingefügt (Abb. 25).
Es bleibt noch übrig, einen Blick auf die prähistorischen Konse-
quenzen aus meinen Ergebnissen zu werfen, wobei ich als Laie das
meiste künftigen Erwägungen und Experimenten der Ur- und Vorge-
schichtler überlassen muß. Doch sei zum Schluß wenigstens zaghaft
angedeutet, wie man sich die früheste Verwendung von Schafbocks-
hoden als zuverlässige Behälter für kostbare Flüssigkeiten etwa wird
vorstellen dürfen.
«Die hohle Hand, die sich dem Urmenschen als von der Natur
mitgegebenes <Trinkgefäß> anbot», pflegt am Anfang solcher Er-
105 Als Kuriosum sei angemerkt, daß nach einem Illustrierten-Report Ende 1968
in der Luxusjacht des griechischen Reeders A. S. Onassis die Barhocker mit der
Haut von Walfischhoden bezogen gewesen seien, was erheblichen Bedenken
von naturwissenschaftlicher Seite begegnet.
 
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