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Kullmann, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1979, 2. Abhandlung): Die Teleologie in der aristotelischen Biologie: Aristoteles als Zoologe, Embryologe und Genetiker. Vorgelegt von Werner Beierwaltes am 21. Oktober 1978 — Heidelberg: Winter, 1979

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https://doi.org/10.11588/diglit.45473#0012
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10

Wolfgang Kullmann

Ich erwähne aus dieser Schrift vorab ein beherrschendes Theorem
seiner Embryologie, das mit der Teleologie in engstem Zusammenhang
steht und die Geschichte der modernen Biologie nachhaltig beeinflußt
hat. Aristoteles entwickelt dort in Auseinandersetzung mit den Atomi-
sten Leukipp und Demokrit, die die Entstehung der Lebewesen mit Hilfe
einer Präformationstheorie erklärten, seine eigene (modern so genannte)
Epigenesistheorie (A17. Bl. B 3. Al). Diese leugnet, daß im Samen der
künftige Mensch aufgrund des von allen Körpergeweben herstammen-
den Keimgutes bereits im Kleinen, als kleiner Mensch fertig präformiert
ist8, und rechnet, gestützt auf embryologische Beobachtungen, mit
einer sukzessiven Entstehung der Organe. Sie hat sich erst nach ihrer
experimentellen Bestätigung zu Beginn des 20. Jahrhunderts endgültig
durchgesetzt. Eine große Rolle spielt in ihr die These, daß sich die
Gattungsmerkmale vor den Artmerkmalen ausbilden, womit Aristoteles
bereits den Tatbestand berührt, der dem biogenetischen Grundgesetz,
das Ernst Haeckel aufstellte, zugrundeliegt, wonach die Ontogenese
eine Rekapitulation der Phylogenese ist. Sein Standpunkt ähnelt aller-
dings eher der Vorform dieses Gesetzes, wie sie der Zoologe Karl
Ernst v. Baer im Jahre 1828 aufgestellt hat9. In die Zeit v. Baers fallen
ja viele embryologische Beobachtungen. Martin Heinrich Rathke
entdeckte z. B. die Kiemenspalten in den Embryonen der Säugetiere
und Vögel, und es wurde die herrschende Vorstellung, daß der Embryo
höherer Tiere die bleibenden Formen der niederen Tiere durchläuft
(womit natürlich die rezenten Tierarten gemeint waren)10. Demgegen-
über weist v. Baer, gestützt auf seine Beobachtungen am Hühnerei und
an den Embryonen vieler Tiere nach:
„1. Daß das Gemeinsame einer größeren Thiergruppe sich früher im
Embryo bildet, als das Besondere . ..
2. Aus dem Allgemeinsten der Formenverhältnisse bildet sich das weni-
ger Allgemeine und so fort, bis endlich das Speciellste auftritt.“11.
Freilich wird es nötig sein, den Standpunkt des Aristoteles genauer zu
bestimmen. Insbesondere wird sich die Frage stellen, ob und wie sich

8 Vgl. Demokrit 68 B 32.
9 Karl Ernst v. Baer, Über Entwickelungsgeschichte der Thiere. Beobachtung
und Reflexion, I. II, Königsberg 1828/1837.
19 Vgl. v. Baer a.a.O. I 199ff.
11 A.a.O. I 224.
 
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